Wolkengaukler
mit der Zunge zu schnalzen.
Was sollte ich tun? Blitzschnell versuchte ich, das Für und Wider abzuwägen. Doch eigentlich ging das gar nicht. Mechanisch stand ich einfach auf, ließ sie unterhaken und ging mit ihr zur Tanzfläche. In meinem Kopf drehte sich alles, und gleichzeitig war er völlig leer. Nur ein Gedanke hämmerte darin: ‚Christoph, was soll ich jetzt tun?!’
Sie legte meinen Arm um ihre Taille, führte den anderen nach vorne. Auch das noch!
Plötzlich hörte ich ihn in meinem Kopf, erinnerte mich an seine Worte: ‚Entspann dich. Mach die Augen zu und lass dich führen.’ Ich war völlig verunsichert. Ich konnte mich doch nicht von ihr führen lassen! Ich musste doch sie führen! Durch das Chaos in meinem Kopf drang ihre Stimme: „Entspann dich! Wenn du willst, führe ich.“ Na super, wie peinlich! Trotzdem nickte ich, beinahe ein bisschen erleichtert.
Sie begann, sich leicht zu wiegen, übertrug den Rhythmus mit ihrer Hand auf meine Schulter und von dort auf meinen gesamten Körper. Ich erinnerte mich an meinen ersten Tanz mit Christoph, spürte plötzlich wieder seinen Körper an meinem. Nein, jetzt bloß nicht weiter daran denken! Sie lächelte mich ermutigend an und sagte: „Du kannst mich ruhig stärker anfassen, ich bin nicht aus Zucker.“ Ich umfasste ihren Körper fester. Tatsächlich, da war nichts Weiches wie damals bei Isabel. Sicherlich auch nicht soviel Festigkeit wie bei Christoph, aber irgendwo so in der Mitte.
Ich konzentrierte mich auf ihre Bewegungen. Es ging eigentlich ganz leicht, ihr zu folgen, und schließlich hatte ich den Dreh raus. Aber im Grunde folgte ich nicht ihrem Körper, sondern einfach ihren Augen. Sie war nur ein Stückchen kleiner als ich, und ihr Gesicht fast genau vor meinem. Doch ich sah nicht ihren Mund oder ihren Halsausschnitt, spürte eigentlich auch nicht den leichten Druck ihrer weichen Brüste – ich sah nur diese Augen, die mir unheimlich vertraut und doch gleichzeitig so fremd vorkamen. In dem diffusen, künstlichen Licht, dem Halbdunkel und den fliegenden Schatten konnte ich nicht mehr ausmachen als ihr Leuchten und Funkeln.
Schließlich war die Runde zu Ende, und sie löste sich sanft mit einem „Merci“ von mir. Zunächst standen wir beide etwas unschlüssig voreinander. Ich wollte spontan zu Felix zurücklaufen, aber dann kam es mir unheimlich blöd vor, sie einfach hier stehen zu lassen. „Lass uns was trinken gehen“, schlug ich vor und dirigierte sie an dem noch immer ziemlich perplexen Felix vorbei zur Bar. Mit unseren Gläsern suchten wir uns erst einmal einen ruhigeren Platz.
„Du tanzt sehr gut“, sagte ich, um überhaupt irgendetwas zu sagen.
Sie lächelte, weder geschmeichelt noch schüchtern, sondern einfach geradezu in mein Gesicht: „Danke. Und du bist ein guter Schüler.“ Damit stieß sie ihr Glas sacht gegen meines. Ich zog die Augenbrauen hoch. Das konnte sie ja nun wahrlich nicht wissen! „Tanzschüler“, ergänzte sie. „Aber du hast nicht zum ersten Mal so getanzt, nicht wahr?“
„Stimmt.“ Ich sah Christoph und mich im Schein des Kaminfeuers eng umschlungen stehen, uns streicheln und wiegen in der Vorfreude auf das, was dann folgen sollte. „Wo hast du es denn gelernt?“, fragte ich, um mich abzulenken.
„Ich weiß nicht, es ist so in meinem Körper. Du weißt schon, von innen heraus.“ Sie suchte nach den richtigen Worten.
„Du meinst, du hast das im Blut“, vermutete ich.
„Oui, im Blut. Mein Vater ist ein ... ehm, Musiker, ja, auch Musiker. Ich habe es von ihm.“
Sie drehte sich um, weil hinter ihr jemand ihren Namen gerufen hatte. Ich sah ihr Haar vor mir, das sich in sanften Wellen um ihre Schultern legte. In einzelne Strähnen waren kleine Clips eingefügt. Das Haar schimmerte im Discolicht in allen Farben des Regenbogens, und die Clips sahen aus wie bunte Schmetterlinge, die zwischen den Strähnenwolken umhergaukelten.
„Oui, je viens! Tout de suite!“, rief sie, dann wandte sie sich mir wieder zu : „Excuse moi, aber ich möchte wieder zu meinen Freundinnen gehen. Es hat mir gut gefallen, dein Tanzen.“
Ich nickte und sah ihr nach, wie sie mit federnden Schritten zu den Mädchen zurückging. Die Schmetterlinge tanzten um ihre Schultern.
Nach einer Weile nahm ich mein Glas und setzte mich wieder zu Felix, der mich mit unverhohlenem Neid anstarrte: „Sag’ mal, wie hast du das denn gemacht?“
„Was?“ Ich nippte wie beiläufig an meiner Cola.
„Nun tu doch nicht so!
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