Wolkentaenzerin
Chris. Es war die Erkenntnis, dass sie so sehr in ihrer Arbeit aufgehen konnte, dass sie das Wohlergehen ihrer Familie vernachlässigte, und diese Vorstellung hielt sie nicht aus.
»Ich weiß auch nicht, wie es klappen sollte. Es ist so umständlich«, stimmte Chris ihr zu. »Ich meine, was würden wir denn machen? Jemanden Vollzeit einstellen? Oder ein Au-pair-Mädchen?«
Er sah zu der anderen Familie hinüber. Die vier Kinder saßen still da und malten, ein Abbild von Disziplin und gutem Betragen – ohne Zweifel das Zeugnis eines Haushalts mit einem nichtberufstätigen Elternteil oder mit Eltern, deren Arbeitszeiten sich ergänzten.
Sie wollte gerade Au-pairs sind günstiger sagen, hielt sich aber zurück. Es könnte so wirken, als wolle sie auf ihre Finanzen anspielen und andeuten, dass ein zweites Einkommen nützlich sein könnte. Solche Andeutungen waren in der Vergangenheit nicht gut angekommen.
»Pâtisserie ist meistens frühmorgens«, sagte sie, als würde das alles vereinfachen.
»Nicht bei einer Neueröffnung. Da wird man in beides mit reingezogen. Wie würden wir denn solche Arbeitszeiten abdecken?«
»Keine Ahnung, Chris. Wir könnten jonglieren, kreativ werden. Das macht man doch, wenn man seine Arbeit liebt, oder? Einen Weg finden, damit es funktioniert?«
Sie sahen einander über den Tisch hinweg an, Gegner kurz vor einer Auseinandersetzung. Die Kinder bemerkten die Veränderung im Tonfall und blickten auf.
»Worüber redet ihr?«, fragte James.
»Nur darüber, was wir morgen machen wollen«, antwortete Kate.
»Ich will an den Strand. Und danach Minigolf spielen«, sagte James. »Das eine morgens, das andere nachmittags. Und dann schwimmen.«
»Du kannst aber nicht alles machen. Manchmal« – Chris wischte sich den Mund ab und warf Kate einen Blick zu – »muss man sich entscheiden.«
Nachts auf der Insel zu fahren war gespenstisch. Auf der Harvest Road gab es keine Straßenlaternen, und zwischen den dichten Bäumen standen nur wenige Häuser. Buscheichen und Pitchpines bildeten dunkle Mauern entlang der Straße, die hier und da den Blick auf Lama-Weiden freigaben wie in tiefe leere Zimmer.
Als sie auf ihren Feldweg abbogen, jagten Kaninchen im Scheinwerferlicht davon. Angeblich waren Kaninchen die Übeltäter bei einem Tularämie-Ausbruch vor einigen Jahren gewesen, eine Behauptung, die Kate noch immer erstaunte. Zwei Landschaftsgärtner waren an der Bakterieninfektion gestorben, was die Insel in Aufruhr versetzte. Obwohl Tularämie, die Hasenpest, nur selten tödlich verlief, hatten die Zeitungen an der Ostküste Karikaturen zähnefletschender Nagetiere gebracht (»Meister Lampe hat Fieber«) und Urlauber ihre Ferienhäuser abgesagt. Als Kate und Chris sich entschlossen hatten, trotzdem zu kommen – der Rummel schien albern, die Wahrscheinlichkeit einer Infektion gering –, hatten sie darüber nachgedacht, zu prassen und ein besseres Ferienhaus zu suchen, da die Mieten so niedrig waren. Letztendlich waren sie aber doch zu ihrem Bungalow zurückgekehrt. Sie brauchten wirklich nichts Größeres, die Lage war ideal, und Nostalgie überwog die Vorteile eines komfortableren Hauses.
Kaninchen, so gutmütig wie Fabelfiguren. Ihre getrockneten Köttel verursachten die Ansteckung, wenn sie vom Wind herumgewirbelt wurden und Menschen die Partikel einatmeten, so harmlos wie Staub. Sie sah den Kaninchen nach und rieb sich am Hals, wo sie ein heißes Kribbeln spürte.
Wenn in diesem Jahr Tularämie ausgebrochen wäre, käme ihr der Rummel nicht annähernd so albern vor, noch hielte sie die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung für gering. Wahrscheinlichkeiten hatten nichts zu bedeuten.
Sechs
Kate las mittlerweile kaum noch die Zeitung. Chris hatte sie auf dem Terrassentisch liegengelassen, und die Schlagzeilen waren halb verdeckt vom Frühstücksgeschirr. Schreckensnachrichten stachen zwischen den leeren Müslischalen und marmeladenverschmierten Tellern hervor: T ERRORISTEN FÜRCHTEN, DASS Z IVILHAUSHALTE UMGEHEND C IPROFLOXACIN- V ORRÄTE ANSCHAFFEN . Und weiter unten: E RKRANKUNGEN MIT U MWELTGIFTEN IN V ERBINDUNG GEBRACHT . Sie sah von der Zeitung auf und in den Garten. Mit der Sonne im Gesicht spielten die Kinder Krocket und hüpften über die Törchen. A TTENTATE IN V ORORTEN .
Sie konnte nicht anders, als einen Teller zur Seite zu schieben, um den ganzen Artikel zu lesen.
Von offizieller Stelle heißt es, dass Selbstmordattentate in Vororten nicht verhindert werden können.
…
Weitere Kostenlose Bücher