Wolkentaenzerin
willkommen heißen. Na du . Oder es könnte einen Moment des Zögerns geben. Sie würde ganz still neben ihm sitzen. Die Präsenz des anderen im Raum würde ihre Gedankengänge dämpfen, und sie würden aufschauen, wenn der andere sich auf seinem Platz bewegte oder den Blick schweifen ließ. Sie würde vielleicht hier und da kommentieren, was sie gerade las, aber aus dem Kontext gerissen wäre es nicht leicht zu verstehen. Nach einer Stunde oder so würde sie aufstehen, sich strecken und murmeln, dass sie zu Bett ging, und am nächsten Abend würde sie sich wieder ins Wohnzimmer setzen. Für sich zu sein war ein Geschenk. Aber für sich zu sein mit jemand anderem, das war eine Kunst.
Kate hatte sich in dieser Hinsicht nie über Elizabeths und Daves Beziehung Gedanken gemacht. Sicherlich hatten die beiden eine unangestrengte Vertrautheit miteinander geteilt. Elizabeth, die ein Buch las, während Dave auf dem Ledersofa saß und Werbematerial für neues Golfzubehör durchsah. Wenn er aufstand, um sich einen Kaffee zu machen oder eine Schale Eis zu holen, und sie in seiner geselligen Art fragte, ob sie auch etwas wollte, lächelte sie ihn an, erfreut über seine Aufmerksamkeit. Vielleicht war es aber auch gar nicht so gewesen. Vielleicht hatte Elizabeth sich gewünscht, dass er der Typ Mann wäre, der mit zwei Gläsern Wein zurückkam, sich vor den Fernseher stellte und ihr das Buch aus der Hand nahm. Vielleicht hatte es in Wirklichkeit viele unerfüllte Wünsche gegeben.
Zwei Abende lang hatte Kate in der Dachkammer noch im Tagebuch gelesen, als schon längst das letzte Boot mit Positionslichtern wie phosphoreszierende Fische in den dunklen Hafen eingefahren war. Am zweiten Abend hatte sie gezögert, bevor sie das Buch aufschlug. Wenn sie gefragt worden wäre, wie ihre Freundin wohl in der Highschool gewesen war, hätte Kate sich das rosige Gesicht einer Jahrbuchredakteurin vorgestellt, ein All-American-Girl, das Babysitterin für die gesamte Nachbarschaft war. Der Mensch, der hier in Erscheinung trat, hatte ein deutlich weniger sonniges Gemüt, war zwar unabhängiger und kreativer, aber viel einsamer. Kate wünschte, sie hätte ein Foto, und fragte sich, ob Elizabeth sich früher mehr aus Mode gemacht hatte, bevor sie eine der Mütter wurde, an deren Ohren zu Halloween kleine Kürbisse baumelten.
Die Einträge vom vorigen Abend begleiteten Elizabeth durch ihr letztes Jahr an der Highschool. Sie hatte unheimlich viel geschrieben und schien Einzelheiten aufzuzeichnen, wie andere Mädchen ihren Freundinnen Beobachtungen zuflüsterten. Während sie auf Nachricht von den Colleges wartete, vertrieb sie sich die Zeit mit Malen und Gelegenheitsjobs. Wie auch ihre Freunde experimentierte sie mit Alkohol. Am Wochenende auf Partys zu trinken gab ihr ein diffuses Gefühl, als ob die Grenze verschwamm, an der sie aufhörte und jemand anders begann. Sie und Michael saßen oft im Auto und hörten Radio. Wenn er Elizabeth küsste, legte er ihr die Hand auf die Wange und versuchte nicht sofort, sie unter ihr T-Shirt gleiten zu lassen, was sie als Zeichen seiner Anständigkeit wertete. Sie hoffte darauf, dass er mittags bald allein mit ihr in der Kantine sitzen wollen würde, so wie die Pärchen.
Ihre Kunstlehrerin empfahl sie einer Galerie, die Nachwuchstalente vertrat, und Elizabeth schrieb begeistert über den Verkauf zweier Werke für je $ 100. Ihr Lieblingsbild behielt sie, und eine Skizze davon in ihrem Tagebuch zeigte ein an Warhol erinnerndes Gemälde sich wiederholender und überlappender Fahrradreifen. Schließlich lag ein dicker Umschlag von der NYU in der Post.
Elizabeth schrieb den ganzen Frühling und Sommer über in ihr Tagebuch, Seiten über Seiten voller Sehnsucht nach engeren Freundschaften, einer konventionelleren Mutter, einer richtigen Beziehung mit Michael. Doch als die Monate verstrichen und ihre Hoffnungen nicht erfüllt wurden, kühlte sich der Ton ihrer jugendlichen Sehnsüchte ab. Sie traf Michael abends häufiger, träumte aber nicht länger davon, dass er sie aufforderte, sich mit ihm an einen Tisch in der Kantine zu setzen. Ebenso gab sie es auf, anzudeuten, dass ihre Familie einmal größer gewesen war, als Michael weder Neugier noch persönliches Interesse zeigte.
Unten in der Dunkelheit schlug die Standuhr ein Mal, und Kate zwang sich, das Buch zu schließen. Tu es nicht, mahnte Kate innerlich. Vertrau ihm nicht. Doch natürlich war es längst zu spät für solche Warnungen.
Sieben
Eine Brise
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