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Wolkentaenzerin

Wolkentaenzerin

Titel: Wolkentaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nichole Bernier
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essen waren, oder? Mit ihm und seiner Frau, kurz bevor wir umgezogen sind.«
    »Ich habe gerade erst herausgefunden, dass sie seine zweite Frau ist. Seine erste Frau, die Mutter seiner Kinder, ist vor ein paar Jahren an Krebs gestorben.«
    Kate versuchte sich an das gemeinsame Essen zu erinnern, ob sie über irgendetwas gesprochen hatten, das auf eine zweite Ehe hätte hindeuten können.
    »Er hat es jetzt erst erwähnt? Ihr beiden reist doch so oft zusammen.«
    »Ja, ziemlich oft. Wie gesagt, vermutlich kam es einfach nie zur Sprache.«
    Der Kellner brachte das Dessert, ein Käsekuchen mit Granatapfelsoße für Chris und ein Fondue für Kate. Sie spießte eine Rispe Beeren auf und tauchte sie in die Schokolade. Ein paar Sekunden blieb der Abdruck der Früchte erhalten und glättete sich dann wieder, als hätten die Beeren nie eine Spur hinterlassen.
    »Am Fünfzehnten war Elizabeths Geburtstag. Neununddreißig wäre sie geworden.«
    Kate strich mit der langen, dünnen Gabel über die Schokoladenoberfläche. »Letztes Jahr an ihrem Geburtstag war Emily erst einen Monat alt. Heute vor einem Jahr hatten sie keine Ahnung, was auf sie zukommen würde.«
    Kate fragte sich, was Elizabeth wohl gedacht haben mochte, als sie die Kerzen ausblies. Jedes Jahr dachte Kate: dass meine Familie glücklich und gesund bleibt , aber an ihrem eigenen achtunddreißigsten Geburtstag vor drei Monaten war ihr Wunsch ihr plötzlich bedeutungslos erschienen. Wie glücklich ist glücklich? Wie gesund ist gesund?
    »Ich frage mich, ob sie irgendetwas anders gemacht hätte, wenn sie gewusst hätte, dass es ihr letztes Jahr war.«
    Chris war einen Moment lang still und betrachtete sie. »Das machst du oft in letzter Zeit.«
    »Was mache ich oft?«
    »Zurückschauen. Im Nachhinein analysieren. ›Heute vor einem Jahr.‹ ›Heute vor zwei Monaten.‹«
    Er streckte die Beine aus, und seine Knie knackten leise, erst das eine, dann das andere. »Ich verstehe nicht, was du daran so spannend findest.«
    Er sagte das, als wäre er nur neugierig, aber da war noch etwas anderes. Geduld. Oder Ungeduld. Das eine verdeckte manchmal das andere, wenn man es achtsam genug anging.
    »Es zerreißt einem einfach nur das Herz, wenn man zurückblickt auf diese Person, die nichts davon ahnt, was ihr zustoßen wird. Wenn man sich vorstellt, wie jemand unbedarft und vergnügt sein Leben lebt und dabei nicht ahnt, dass ein bedeutendes Ereignis schon bald sein Leben aus der Bahn werfen wird. Manchmal frage ich mich, wie wir leben würden, wenn wir es schon vorher wüssten.«
    Die Leichtigkeit, die sie eben noch vom Wein verspürt hatte, war verflogen, und Kate war jetzt nur noch müde. Sie wusste nicht, was ihre Unterhaltung auf einmal hatte kippen lassen. Sie wusste nur, dass sie nicht länger darüber reden wollte. Sie sah sich suchend nach dem Kellner um. Sie brauchte etwas anderes, eine Tasse Kaffee vielleicht oder ein Glas Portwein.
    »Na ja, was auch immer passiert, passiert, und niemand kann es vorher wissen«, stellte Chris fest. »Das sagt nichts über die Person aus, die man damals war, und hat auch nichts mit Naivität zu tun.«
    Sie hatte einen Nerv getroffen.
    »Es ist auch kein Urteil.«
    Ihm gefiel der Gedanke nicht, für etwas zur Verantwortung gezogen zu werden, von dem man gar nichts wusste.
    »Es macht mich einfach nur neugierig. Wenn überhaupt, ist es bloß ein Realitätscheck für das Leben, das man führt. Zum Beispiel diese Bombendrohung in der U-Bahn …«
    Er schüttelte den Kopf. »Du musst damit aufhören, Kate. Es war ein falscher Alarm.«
    Es ging so endlos durch den schummrigen Tunnel. Sie hatten sich alle langsam zum Ausgang hingeschoben. Sie war sicher, dass sie Rauch gerochen hatte, hatte die Hand vor den Mund gehalten und schon mit dem Erstickungsgefühl und der Hitze gerechnet.
    Die Fonduegabel zitterte zwischen ihren Fingern, und Kate legte sie auf den Dessertteller.
    »Ich weiß. Darum geht es nicht.«
    »Das Wichtigste ist, dass es dir und den Kindern gutgeht, dass es uns allen gutgeht. Wir wissen nie, was kommt, also lass uns jeden Tag genießen. Oder etwa nicht?«
    Darum ging es ihr überhaupt nicht. Sie sah mit gerunzelter Stirn auf ihre Schokolade.
    »Ich wünschte, du würdest das Leben etwas leichter nehmen, Kate, und nicht immer zurückblicken und grübeln. Das bringt nichts. Es verändert den Lauf der Welt nicht.« Er schnippte ein paar Krümel vom Tisch in den Teich, und die fetten Kois drehten sich automatisch nach ihnen

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