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Wolkentaenzerin

Wolkentaenzerin

Titel: Wolkentaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nichole Bernier
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um.
    Zurückblicken. So konnte man es auch nennen. Er hatte nicht unrecht; im letzten Jahr war es zu einem selbstverständlichen Bestandteil ihres mentalen Werkzeugkastens geworden, eine Art, die Zeit zu messen und ihr einen Sinn zu geben. Heute vor einem Jahr . Als wäre es möglich, eine bestimmte Zeitspanne zu nehmen und zwei Augenblicke nebeneinanderzuplatzieren, das Wissen des späteren Zeitpunkts mit dem Unwissen des ersten zusammenzubringen und dadurch den Stoß zu mildern. Es gab die Kate von vor einem Jahr, bevor die Welt nicht nur einmal, sondern gleich zweimal einstürzte. Und es gab die Kate danach.
    »Ich habe gelesen, dass es einen Babyboom geben wird«, sagte Chris und pikste seine Gabel in das letzte Stück Käsekuchen. »Wegen der ganzen Leute, die sich nach letztem Herbst verkrochen haben und nun noch ein Kind bekommen. Du weißt schon, in die Zukunft investieren, Zuversicht, Hoffnung und das alles.«
    Er sah auf seinen Teller, und seine Stimme klang gleichgültig, oder vielmehr sollte sie gleichgültig klingen. Doch dann blickte er auf, um zu sehen, wie sie auf seine Worte reagierte, und warf ihr ein schiefes Lächeln zu.
    Sie lachte ungläubig. »Du meinst es ernst. Obwohl du so viel unterwegs bist, meinst du es tatsächlich ernst?«
    »Es ist doch schon besser geworden. Das musst du doch zugeben.«
    Es stimmte. Es stimmte auch, dass sie sich an seine Reisen gewöhnt hatte und es dadurch kleine Erleichterungen im Alltag gab. Sie kochte einfachere Gerichte. Nachts war es ruhiger, und sie wachte seltener auf. Als Chris begonnen hatte, so viel zu reisen, hätte sie nicht vermutet, dass sie irgendwann so denken würde.
    Kate schüttelte den Kopf. »Was ist aus ›Zwei und vorbei‹ geworden?«
    »Na ja, wir bekommen es doch ziemlich gut hin mit zweien, oder? Die beiden gehören doch wohl zu den glücklichsten und zufriedensten Kindern, die es gibt.«
    »Manchmal.«
    »Manchmal.«
    Kate dachte an Emily Martin auf ihrem Schoß, die mit neugierigen Patschhändchen nach dem Essen auf ihrem Teller griff. Der Duft ihres Babyshampoos. Sie würde lügen, wenn sie behauptete, es wäre ihr noch nicht in den Sinn gekommen. Doch eine ganze Weile schon nicht mehr. Es schien gefährlich, mehr Kinder zu haben, als man Hände besaß.

    Als sie am Haus ankamen und die Babysitterin bezahlten, wollte Chris noch hinunter zum Strand gehen, ein wenig frische Luft schnappen und sich die Schiffe im Hafen anschauen. Kate warf einen Blick ins Kinderzimmer, steckte Pipers Beine wieder unter die Bettdecke und hob James’ Stoffdinosaurier vom Boden auf, den er angeblich nicht mehr mit ins Bett nahm. Im Schlafzimmer brannte das Licht bereits, und sie stieg aus dem rosafarbenen Kleid und zog ein schwarzes Trägershirt über. Heute Abend würde sie nicht in den Tagebüchern lesen.
    Sie putzte sich die Zähne und beeilte sich mit der Gesichtspflege, irgendein albernes Antifaltenzeug, empfohlen von einem Wellnesscenter. Sie hatte dort ein kostenloses Beratungsgespräch bei einer Auktion in der Vorschule gewonnen, doch hier hatte der kostenlose Teil auch schon geendet. Kate hatte immer noch ein schlechtes Gewissen, wenn sie die zwei winzigen Fläschchen mit dem Serum öffnete. So hatten sie es genannt, Serum, mit der Bedeutungsschwere von etwas, das James Bonds Aktentasche entsprungen war, wahrscheinlich um den Preis zu rechtfertigen. Und trotzdem hatte sie es gekauft. Was, wenn doch etwas dran war an den Zuckermolekülen und den unaussprechlichen Säuren? Warum tat man sich so schwer damit, zu glauben, dass etwas, das man nicht sah oder verstand, eine Wirkung haben könnte, wo es doch Gott weiß wie vieles gab, das schädlich war. Sie wandte sich vom Spiegel ab und schaltete das Licht im Bad aus.
    Als sie zurück ins Schlafzimmer kam, entdeckte sie ein Notizbuch aufgeschlagen auf dem Bett. Es war genauso groß wie die Bücher von Elizabeth, hatte aber einen unbekannten Einband und war wahrscheinlich eines der von weiter unten in der Truhe. Die Tür zum Wandschrank stand offen. Und auch die Luke über der Leiter. Warum sollte die Babysitterin hier herumschnüffeln? Woher sollte sie überhaupt von der Dachkammer wissen und sich für die Tagebücher interessieren?
    Die Hintertür wurde leise geöffnet und geschlossen, um die Kinder nicht zu wecken, und Kate legte das Buch auf ihren Nachttisch. Chris erschien in der Tür mit vom Wind verwuschelten Haaren und aufgeknöpftem Hemd. Er lehnte sich an den Türrahmen und musterte Kate in ihrem

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