Wolkentaenzerin
Möglichkeit bestand, dass ich schwanger bin. Ich sagte nein. Sie hat aber trotzdem vorsorglich einen Test gemacht, und vor unseren Augen wurde es möglich. Von einem Moment auf den anderen war ich wieder 18, das Blut rauschte mir in den Ohren, und ich dachte: Unfassbar und: Dummes, dummes Mädchen.
Schwanger. Schwanger und krank. Schwanger und krank und allein. Wie in einem schlechten Fernsehfilm. Stundenlang bin ich umhergelaufen, bis es dunkel wurde, und als ich langsamer wurde, war ich wieder da, vor dem National Arts Club. Habe mich hingehockt und an den Zaun vom Park gelehnt. Die gleichen schönen Fenster. Die gleichen schönen Menschen, Weingläser und Luftküsschen, sich reckende Hälse und Applaus.
Als ich vor 13 Jahren hier saß und die gleiche Entscheidung durchdachte, habe ich noch ganz andere Erwartungen an mein Leben gestellt. Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, welche genau das eigentlich waren. Wahrscheinlich dachte ich, dass meine Entscheidung mein Leben in eine bestimmte Richtung katapultieren würde – Ausstellungen, Reisen, Kultur, das volle Programm. Und nichts davon ist eingetreten. Ich habe mich selbst vor Augen gehabt, wie ich mich von unten aus hochmale und etwas erreiche … irgendetwas. Keinen Reichtum, nur den Zugang zu einer Art Gemeinschaft von Künstlern, die ihr Herzblut für etwas geben, das sie lieben, die eine Vision haben, aus dem Nichts etwas zu erschaffen. Und nichts davon ist eingetreten. Ich habe nicht einmal meinen Abschluss gemacht.
Vertane Gelegenheit, vergeudete Ausbildung, und plötzlich fühlte es sich so falsch an, dass ich für die vage Vorstellung davon, dass ich etwas erreichen würde und es dann doch nicht geschafft habe, ein Leben ausgelöscht habe. Damals war ich so selbstgerecht, was mein Potential betraf, und fand es so ungerecht dass ich Pech hatte. Meine Entscheidungen und Gründe dafür waren damals so verwirrend, dass man es verzeihen kann. Aber ich weiß nicht, ob man das jetzt noch behaupten kann.
Im Haus nebenan gingen die Lichter an. Das Gebäude war von den abendlichen Tätigkeiten der Menschen erfüllt, die nach Hause kamen. Abendessen, Hausaufgaben, Kinder, die auf ihrem Instrument üben. Eine seltsame Art von Theater, wenn man draußen sitzt und alles beobachten kann. Neben dem Arts Club stand ein Kind nach seinem Bad in einem Zimmer im ersten Stock. Das Mädchen plapperte und zappelte die ganze Zeit herum, während die Frau ihr ein Nachthemd über den Kopf zog und versuchte, ihr die Haare zu kämmen. Die Frau hörte zwischendurch immer wieder auf und lachte und hielt das Mädchen dann an den Schultern fest und drehte sie wieder nach vorne, um weiterzubürsten. Irgendetwas an den beiden erinnerte mich an den Babysitterjob, den ich mit zwölf hatte, die liebevolle Mutter und ihre dreijährige Tochter, ihr glückliches kleines Universum. Das Kinderzimmer und das Fenster zur Party im Arts Club lagen nur wenige Meter auseinander und schienen doch Tausende von Meilen voneinander entfernt.
Donnerstag, 16. Juni 1994
Die Ärztin rät mir davon ab, etwas gegen die ungewöhnliche Zellbildung zu unternehmen, sie meint, es sei nicht gravierend und korrigiert sich wahrscheinlich von allein. Sie hat mir den Namen einer Geburtshelferin gegeben, ich soll so bald wie möglich zur vorgeburtlichen Betreuung hingehen. Die Zellen werden wir regelmäßig kontrollieren. Manchmal wachsen sie durch eine Schwangerschaft schneller, manchmal verschwinden sie von allein. Sie hat mich nicht gefragt, was ich wegen der Schwangerschaft unternehmen will oder ob ich überhaupt etwas unternehmen will.
Ich überlege, ob ich Dave noch eine Nachricht hinterlassen soll und ihm dieses Mal einfach von dem Baby erzähle. Und ihm aber nicht sage, was ich tun will. Ich gebe zu, dass es mich reizt, ihm damit weh zu tun, denn das würde sein Selbstbild von sich als Familientyp zerschmettern, und er würde wissen, dass es nur daran liegt, dass er ein Feigling ist. Kein Lebenszeichen von ihm an meinem Geburtstag oder danach. Hat mich nicht überrascht, wie könnte er jetzt aufkreuzen, nachdem er schon so weit gegangen ist? Ein Teil von mir hofft immer noch, dass er sich meldet. Ich will einfach glauben, dass der ehrenhafte Mensch der letzten zwei Jahre nicht nur ein Fantasiegebilde war. Obwohl das noch mal ganz andere Auswirkungen haben würde, wenn er tatsächlich auftauchen sollte.
Dienstag, 21. Juni 1994, 2 Uhr morgens
In meiner Wohnung herrscht das reinste Chaos. Gestern Abend habe
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