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Wolkentaenzerin

Wolkentaenzerin

Titel: Wolkentaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nichole Bernier
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eine klare Loslösung von dem, was sie mit dem alten Haus verband, von ihrer Wut, ihrer Angst und ihren Schuldgefühlen. Dave hat kein Bedauern geäußert, nicht einmal, als am Jahresende die Gesamtergebnisse der PGA zusammengerechnet wurden und klarwurde, dass er ein überragendes Jahr gehabt hätte, wenn er dabeigeblieben wäre. Er sagt, ihm gefällt der neue Job total gut, und er ist wirklich bei der Sache. Ich muss akzeptieren, dass er mich ebenso wenig an seinen Gedanken und Gefühlen teilhaben lässt wie ich ihn an meinen. Vielleicht ist das ja bei allen Paaren so. Verliebt und einander nah auf vielen Ebenen, aber letztendlich weiß man doch nichts voneinander.
    Elizabeths zweite Schwangerschaft verlief ohne Zwischenfälle. Genau wie beim letzten Mal wusste sie nicht, was es war, und Ende Februar war es so weit.
3. März 1998
Es ist ein Mädchen. 3 700 Gramm – ganze 500 Gramm schwerer als Jonah – und schon Daves dunkle Haare, Locken, die ihr am Kopf kleben und die abstehen, wenn man daran zieht und sie etwas rubbelt. Alle reden immer davon, wie winzig Babys sind. Aber ich staune nicht darüber, wie klein sie sind, sondern darüber, wie etwas so Großes und Lebendiges so kompakt in einen hineingepasst hat.
Ich habe während dieser Schwangerschaft so oft von meiner Schwester geträumt, meistens den gleichen Traum, den ich schon seit Jahren habe: wie wir mit den Goldfischen in Tüten aus der Zoohandlung gehen. Sie radelt vor, und meine Tüten fallen herunter, so dass die Fische zappeln und sterben und sich in Luft auflösen. Und sie fährt einfach weiter und dreht sich nicht um, und ich kann sie nicht einholen. Die Hormone und die Frustration haben mich im Krankenhausbett so überflutet, als ich mit Dave über Namen diskutierte, dass ich zusammengebrochen bin, als es so schien, als würde er Anna nicht zustimmen.
Dave war so verwirrt, als ich es ihm erzählt habe. Anna war hinter mir Fahrrad gefahren, so wie es ein Kind in einer Kleinstadt in Vermont auf einer winzigen, quasi unbefahrenen Straße tun können sollte. Sie war acht und süß und beharrlich. Ich war zwölf und wollte in Ruhe gelassen werden. Ich erzählte Dave, wie ich vorgefahren bin, wie ich zum ersten Mal dem Drang folgte, sie loszuwerden, und Schlangenlinien auf der Straße fuhr, um sie zu ärgern, damit sie nicht so leicht hinterherkommen konnte. Dave versicherte mir, dass ich nichts falsch gemacht hätte. Aber ich habe ihm nicht erzählt, dass ich mich in einer Nebenstraße versteckt hatte und sie vorbeifahren ließ, oder dass ich das Auto herankommen und vorbeifahren sah. Ich habe ihm nicht erzählt, wie ich sie nach dem Zusammenstoß nach mir rufen hörte, bevor ich bei ihr angekommen war. Sie war fort, bevor sie meinen Namen ganz sagen konnte, und so waren ihre letzten Worte genauso unvollendet wie alles an ihr. Sie war das Beste in meiner Familie, und ohne sie ließen wir einander auf tausenderlei Arten im Stich.
    Kate schluckte und hielt die Hand vor den Mund. Sie zitterte. Es war so furchtbar, so unvorstellbar furchtbar, und Elizabeth hatte ihr ganzes Leben lang mit der Erinnerung gelebt wie mit einem dunklen verborgenen Fleck.
Nachdem ich ihm alles erzählt hatte, hat er mich total verwirrt angesehen. Warum hatte ich ihm nie davon erzählt? Wie konnte er nicht wissen, dass seine Frau eine Schwester gehabt hatte?
Was soll ich sagen? Es mag keinen Sinn ergeben, aber es ist auch nicht völlig unwahrscheinlich, dass man nie den richtigen Moment oder die richtigen Worte gefunden hat, um das Schlimmste zu beschreiben, das man je getan hat. Er war natürlich liebevoll und besorgt, aber ich habe mich nicht erleichtert gefühlt. Das Schlimmste konnte ich nicht mit ihm teilen, die ganze Zeit diese Leere, den Menschen zu vermissen, als den ich sie mir jetzt vorstelle, diese eine Person, mit der ich vielleicht tatsächlich hätte reden können, und die Scham, zu wissen, dass sie an meiner Stelle die Chance verdient hätte, aufzuwachsen und Kinder zu haben, und die Gewissheit, dass sie es besser gekonnt hätte. Dave hätte »Gott, Elizabeth« gesagt, im gleichen Tonfall, wie er mich beruhigt hat, als ich mir so viele Gedanken über die Fehlgeburt gemacht habe. Letztendlich habe ich doch immer wieder dasselbe Gefühl, wenn es darum geht, sich anderen anzuvertrauen. Das Gegenüber hat nur selten etwas Hilfreiches anzubieten, und in der Regel fühlt man sich danach nicht besser, manchmal sogar schlechter.
Anna Danielle Martin liegt hier neben mir

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