Wolkentöchter
hatten?«
»Fünf Monate«, antwortete sie und zog sich eine Flanelljacke über.
»Kindchen, Sie sind schwanger!« Die Putzfrau klang besorgt.
»Ich weiß«, sagte Waiter ruhig und knöpfte die Jacke zu.
»Aber … wieso?«, fragte die Putzfrau bekümmert und aufgewühlt zugleich.
Dieses »Wieso« klang in Waiters Ohren wie eine Anklage. Sie hatte die Frau noch nie zuvor gesehen, und sie war nicht gewillt, sich von einer Fremden Vorhaltungen machen zu lassen. Sie erwiderte abweisend: »Ich habe niemanden, an den ich mich wenden kann. Meine Eltern werden mich umbringen, die Hochschule schmeißt mich raus, und alle werden mich eine Hure nennen.«
»Was ist mit ihm? Hat er denn nichts getan, um Ihnen aus diesem Schlamassel herauszuhelfen?«
»Der? Der ist abgehauen!«, stieß sie zornig hervor.
»Abgehauen? Er …« Die Stimme der Putzfrau schnappte beinahe über.
Aber Waiter unterbrach sie. »Ich will nicht über ihn reden. Sie würden es sowieso nicht verstehen.«
»Kindchen, ich weiß ja nicht, wie ihr Studierten mit Liebesdingen umgeht, aber hiervon versteh ich was. Ich kann Ihnen helfen.«
»Helfen? Wie denn?«
»Meine Eltern leben in einer kleinen Stadt nicht weit von hier, und meine Tante arbeitet als Ärztin an der dortigen Impfstelle. Sie kann Ihr Kind abtreiben.«
»Ich soll abtreiben? Ein winziges lebendiges Geschöpf töten? Nein, nein, das kann ich nicht!« Aber Waiters Einstellungen beruhten lediglich auf dem, was sie in Büchern gelesen hatte, und auf ihrer Naivität. Sie hatte niemanden, mit dem sie hätte reden können, und darüber hinaus war sie einfach zu unwissend, um eine vernünftige Entscheidung zu treffen oder sich selbst zu schützen.
Die Putzfrau blickte auf den kleinen Wecker, der an ihrer Schürze befestigt war, und sagte nervös: »Aber wie wollen Sie denn hier das Kind bekommen? Was meinen Sie wohl, was die Hochschule sagen wird, von Ihren Eltern ganz zu schweigen? Sie machen sich was vor, Sie müssen das Ganze mal zu Ende denken! Ich mach jetzt die anderen Räume sauber, und dann komme ich wieder.«
Widersprüchliche Gedanken schossen Waiter durch den Kopf, doch schließlich akzeptierte sie den Vorschlag der Putzfrau. Sie fälschte einen Brief, in dem stand, dass ihr Vater ernsthaft erkrankt war, und bat um Sonderurlaub. Dann fuhr sie zu den Eltern der Putzfrau, die sie bei sich aufnahmen.
Nachdem der Grundbesitz dieses Ehepaares vom Staat requiriert worden war, verdienten sich die beiden ihren Lebensunterhalt damit, die Armaturen und Beschläge in einem Hotel zu reinigen und zu polieren. Nur eine unverheiratete Tochter wohnte noch bei ihnen. Die übrigen Kinder hatten sich in der Großstadt Arbeit gesucht. Sie waren einfache Leute, ehrlich und gütig. Als die Tante, die Ärztin, vor dem Eingriff Waiters Blut untersuchte, stellte sie fest, dass die Thrombozytenzahl zu niedrig war. Da sie eine Blutung befürchtete, verschrieb die Ärztin ihr Medikamente und überredete sie, bis zu der Abtreibung noch ein paar Wochen zu warten. Um Waiter aufzupäppeln, schlachtete das Ehepaar nacheinander die Legehennen im Stall, kaufte Ergänzungsnahrung und Stärkungsmittel und kochte ihr jeden Tag eine nahrhafte Suppe. Schließlich lag sie auf dem OP -Tisch.
Als die Ärztin die letzten Untersuchungen vornahm, sagte sie traurig: »Es ist ein schöner, gesunder Fötus, sogar recht groß. Sehen Sie nur, wie kräftig er sich bewegt!«
Waiter brach in Tränen aus, überwältigt von Schuldgefühlen. Sie meinte fast, die empörten Schreie des Babys zu hören: Warum? Warum willst du mich töten? Sie wusste nicht, woher sie die Kraft nahm, aber auf einmal stand sie wieder und schrie: »Nein, ich kann es nicht. Ich kann mein Kind nicht töten!«
Mit großer Entschlossenheit nahm sie den Großteil des Geldes, das ihre Eltern ihr gegeben hatten, und drückte es dem Ehepaar in die Hand. »Bitte lassen Sie mich mein Baby hier bekommen!«
Sie brachte ein voll ausgetragenes Kind zur Welt – eine rundliche, zarthäutige Tochter. Sie nannte sie »Mei«. Dieses chinesische Schriftzeichen bedeutete, dass das stille kleine Wesen großes Unglück überlebt hatte. Das Ehepaar schüttelte nur verwundert den Kopf. Dieses seltene Schriftzeichen hatten sie noch nie gesehen.
Als der Geburtsmonat vorüber war, überbrachte die Putzfrau ihr einen dicken Umschlag. (In China ist es Tradition, dass sich eine Frau nach der Niederkunft einen Monat lang ausruht. Das erwartet man von ihr. Sie hütet das Haus und
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