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Wolkentöchter

Wolkentöchter

Titel: Wolkentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xinran
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wesentlich änderte, wodurch sich die grundlegende Ungleichheit zwischen Männern und Frauen in der Gesellschaft tief verwurzelte. In den Dörfern sicherten Knaben den Fortbestand der Familie und führten den Namen der Sippe weiter, doch darüber hinaus bestimmte ihre Zahl über den Landbesitz der Familie und somit über ihren Wohlstand.
    In Artikel  22 des am 29 . Dezember 2001 verabschiedeten Gesetzes zur Bevölkerungs- und Familienplanung in der Volksrepublik China heißt es: »Diskriminierung und Benachteiligung von Frauen, die Mädchen gebären oder unter Unfruchtbarkeit leiden, ist verboten. Diskriminierung oder Benachteiligung und Nichtannahme von weiblichen Säuglingen ist verboten.« Dennoch muss eine »gute Frau« einen Jungen zur Welt bringen, das weiß jede verheiratete Frau auf dem Land. Es ist sowohl ihre gottgegebene Pflicht als auch der sehnlichste Wunsch ihrer Schwiegereltern. Daher ist es in einigen armen Dörfern an der Tagesordnung, ein erstgeborenes Mädchen abzugeben oder den unglücklichen Säugling gleich nach der Geburt zu ersticken. Wo Empfängnisverhütung nicht richtig verstanden wird, ist das Verstoßen von Säuglingen nur ein normales Naturgesetz, das seit undenklichen Zeiten praktiziert wird. Wenn das neue Kind, das eine Familie nicht großziehen konnte, ein Junge war, wurde es häufig von einer anderen Familie adoptiert oder aber verkauft. Für ein Mädchen war der Tod nahezu unausweichlich.
    Chinas Ein-Kind-Politik wurde während des Zweiten Nationalen Bevölkerungssymposiums entworfen, das vom 11 . bis 14 . Dezember 1979 in der Stadt Chengdu stattfand. Die damalige Vizeministerpräsidentin Chen Muhua (übrigens die erste Frau in einer solchen Position in der Geschichte Chinas) überzeugte die Delegierten bei der Abschlussdebatte davon, dass das rasante Bevölkerungswachstum in China durch den strikten Grundsatz »ein Kind pro Ehepaar« verlangsamt werden könnte. Das war der Beginn der »Bevölkerungsrevolution«, die bis heute Gegenstand heftiger Kontroversen ist.
    Der renommierte chinesische Fachmann für Bevölkerungsstudien, der Ökonom Ma Yinchu, begann 1901 an der Beiyang-Universität in Tianjin Bergbau und Hüttenkunde zu studieren; nachdem er an der Yale University einen Masterabschluss und an der Columbia University seinen Doktor gemacht hatte, kehrte er 1915 nach China zurück und arbeitete zunächst im Finanzministerium der Beiyang-Regierung unter Yuan Shikai, dann als Professor für Nationalökonomie an der Universität Beijing. Im August 1949 übernahm er die Leitung der Universität Zhejiang und hatte einige Regierungsposten inne. Er konzentrierte seine Forschungsarbeit auf das Problem des raschen Bevölkerungswachstums in China zu Beginn der 1950 er Jahre und veröffentlichte seine
Neue Bevölkerungstheorie.
Darin betont Ma die Notwendigkeit, Kapital aufzubauen, Forschung und Technologie zu entwickeln, die Arbeitsproduktivität, den Lebensstandard und das Bildungsniveau zu verbessern sowie den Nachschub an industriellen Rohstoffen zu steigern. Er kam zu dem Schluss, dass es dringend notwendig sei, die Bevölkerungszahlen zu kontrollieren, und stellte drei Grundthesen auf: 1 . Nur die Kontrolle der Bevölkerungszahlen kann den Verbrauch verringern und die Ansammlung von Kapital ermöglichen. 2 . Die Steigerung der Arbeitsproduktivität, der Ausbau der Schwerindustrie sowie die Elektrifizierung und Mechanisierung der Landwirtschaft sind für den Aufbau des Sozialismus unerlässlich. 3 . Es besteht ein Konflikt zwischen Landwirtschaft und industriellen Rohstoffen; der Bedarf der Bevölkerung an Nahrungsressourcen führt dazu, dass zu wenig Land zu Verfügung steht, um Baumwolle, Seidenraupen, Sojabohnen, Erdnüsse und andere wirtschaftlich ertragreiche Waren zu produzieren. »Schon allein aus Gründen der Ernährung muss das Bevölkerungswachstum kontrolliert werden«, schrieb er, und dies müsse unverzüglich geschehen. Ma brachte das Bevölkerungsproblem des Öfteren Mao Tse-tung gegenüber zur Sprache. Dieser war anderer Auffassung: »Können wir die Produktion von Menschen planen? Können wir sie zum Gegenstand von Studien und Experimenten machen?« Eine landesweite Kampagne wurde lanciert, um »Ma Yinchus reaktionäre Denkweise« öffentlich anzugreifen. Doch Ma blieb bei seiner Haltung, und obwohl er mittlerweile schon recht betagt war, erklärte er öffentlich: »Um meines Landes und der Wahrheit willen werde ich bei meiner Bevölkerungstheorie bleiben, ganz

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