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Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)

Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)

Titel: Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Beldt
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Rede stellen? Sollte ich es bitten oder vielmehr auffordern, die Schokolade wieder ordnungsgemäß zurückzulegen?
    Ich stand da und rührte mich nicht. Irgendetwas hielt mich davon ab, gegen es vorzugehen.
    In diesem Augenblick drehte sie sich zu mir um. Doch anstatt sich zu schämen, dass sie beim Klauen erwischt worden war, musterte sie mich feindselig, als hätte ich sie bei einer wichtigen Sache gestört. Sie hatte klobige Turnschuhe an, um ihren Hals trug sie ein schwarzes Tuch. Auf die Jeans waren handtellergroße, bunte Flicken genäht. Sie wirkte viel jünger, als ihre selbstbewusste Haltung vermuten ließ.
    Nachdem sie mich lange genug angesehen hatte, ging sie ungerührt Richtung Ausgang. Ich folgte ihr. An der Kasse drehte sie sich kurz nach mir um. Als sie sah, dass ich nichts unternehmen würde, verließ sie lächelnd den Supermarkt.
    Verärgert über meine Tatenlosigkeit ging ich nach draußen. Ich konnte mir mein Verhalten nicht erklären.
    Ich wollte gerade nach Hause gehen, als ich das Mädchen im Schneidersitz auf einer Bank sitzen und seelenruhig eine Tafel Schokolade verspeisen sah.
    »Auch was?«, fragte sie und hielt mir seine angebissene Tafel entgegen.
    »Ich hätte dich anzeigen können«, sagte ich.
    »Hast du aber nicht«, meinte sie knapp und warf mir grinsend das Schokoladenpapier vor die Füße.
    »Du weißt aber, dass es verboten ist zu klauen, oder?« Fast hätte ich das Papier aufgehoben und in den Mülleimer geworfen.
    »Für Piraten gibt es keine blöden Verbote!« Der Mund war völlig verschmiert, was sie jedoch nicht im Geringsten zu stören schien.
    Ich war unsicher, wie ich darauf reagieren sollte. Schließlich lag das Mädchen mit seiner Ansicht über das Piratenwesen nicht völlig falsch.
    »Hast du denn gar keine Eltern?«, fragte ich ausweichend.
    Sie stopfte sich den Rest Schokolade in den Mund. »Jeder hat doch Eltern, was für eine blöde Frage!« Sie rollte mit den Augen und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.
    Tatsächlich war es eine blöde Frage, wie ich unumwunden zugeben musste.
    »Aber du bist meistens allein, stimmt’s?«, versuchte ich es anders herum.
    Sie schmatzte laut und wackelte lustig mit dem Kopf, als spielten derlei Fragen in ihrem Piratenleben keine Rolle.
    Wieso interessierte mich das überhaupt? Ich sah mich nervös um.
    »Du bist doch auch alleine«, entgegnete sie bestimmt. »Am Fenster machst du immer so komische Bewegungen.« Sie äffte meine mühsam erworbenen Dirigierbewegungen nach, indem sie mit ihren Armen wild um sich schlug. So hatte ich mich noch nie gesehen. Ich wurde rot. Offenbar hatte sie mich also doch seit längerem beobachtet. Plötzlich empfand ich die ganze Lächerlichkeit meiner Existenz. Ein alternder Mann, der am Fenster Geisterorchester dirigierte und in der übrigen Zeit die Wohnung hübsch dekorierte.
    »Ich muss jetzt gehen«, sagte sie, ohne meine Reaktion abzuwarten. »Ich muss zurück in mein Piratenhauptquartier.« Sie stand auf und wischte sich mit dem Ärmel über den Mund.
    Ich wollte ihr noch etwas sagen, wusste aber so schnell nicht, was.
    »Du kannst ja mein Freund werden«, bot sie mir an. »Aber vorher musst du den Piratentest bestehen, klar!«
    »Klar«, sagte ich. Ich hatte keine Ahnung, ob es ernst gemeint war. Aber hatte ich wirklich vor, mit diesem Mädchen befreundet zu sein? Und was hatte es mit diesem »Piratentest« auf sich? Es war absurd.
    Ich blickte ihr nach, während sie die Straße überquerte. Kurz bevor sie die andere Seite erreicht hatte, riss ich meinen Arm hoch. »Wie heißt du überhaupt?«, rief ich halb betäubt von dem Irrsinn, in den ich geraten war.
    Das Mädchen drehte kurz ihren Kopf herum. »Zoe!« Und dann war sie schon hinter der nächsten Ecke verschwunden.

5
    »Würstchen und Kartoffelsalat? Nur Würstchen und Kartoffelsalat? Bist du jetzt völlig verrückt geworden?«
    Die Hände auf ihre Hüften gestützt, stand Jutta auf der Terrasse und blickte mich an, als hätte ich komplett den Verstand verloren.
    Ich saß auf der Hollywoodschaukel im Garten und sah zufrieden auf das Büfett. In einer knappen Stunde sollten die Gäste in festlichen Anzügen und Abendkleidern erscheinen und würden sich darüber wundern, dass die angekündigte Gartenparty mit allem Pipapo auf das Niveau eines evangelischen Sommerfestes gesunken war.
    »Ich wollte schon immer mal etwas Verrücktes tun«, sagte ich gefasst.
    »Aber doch nicht gerade heute, wenn alle meine Kollegen kommen!«,

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