Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)
rief sie weiterhin empört über das nicht nur dürftige, sondern außerordentlich fantasielose Speisenangebot. Immerhin hatte ich drei Sorten Bier und zwei verschiedene Weißweine zur Auswahl gestellt, was Jutta in ihrem Furor jedoch nicht zu bemerken schien.
»Für Verrücktes ist nie die richtige Zeit«, gab ich zu Bedenken, »aber irgendwann muss man mal damit anfangen. Außerdem«, ich verschränkte meine Arme, während ich schneller schaukelte und dabei die Beine nach vorne streckte, »sind Würstchen und Kartoffelsalat nicht verrückt, sondern Teil des deutschen kulinarischen Kanons.«
Die Schaukel hatte inzwischen einen beachtlichen Schwung erreicht. Ich hoffte, das Thema erledigt zu haben, bevor ich herausgeschleudert wurde.
»Des deutschen kulinarischen Kanons? Zu Weihnachten meinetwegen, aber nicht bei einer Gartenparty im Hochsommer!«
Ich war beeindruckt, wie selbstverständlich Jutta meine Wortschöpfung weiterverwendete.
»Es steht aber nirgends geschrieben, dass man zu sommerlichen Partys nicht Würstchen und Kartoffelsalat reichen darf.«
Mir wurde langsam schlecht von der Schaukelei. Zum Glück hatte ich noch nichts gegessen.
»Wir hatten doch aber besprochen«, versuchte es Jutta nun auf die vernünftige Art – anscheinend rechnete sie insgeheim noch mit einer dramatischen Neuausrichtung beim Speisenangebot, ehe die ersten Gäste eintrafen–, »dass du dir was Hübsches einfallen lässt. So habe ich mir das jedenfalls nicht vorgestellt.« Sie wirkte stark bekümmert beim Anblick der lieblos präsentierten Töpfe und Schüsseln, dass es mir fast schon wieder leidtat.
Ich stoppte die Schaukel und legte mich flach auf den Bauch. Es war einfach zu viel Bewegung.
»Das Gespräch fand statt«, erklärte ich sachlich, »ich kann mich aber nicht erinnern, dass ich irgendetwas zugesagt habe.« Es gefiel mir, so dazuliegen und meine Frau zu brüskieren. Es war eine völlig neue Erfahrung für mich.
»Kannst du mir vielleicht verraten«, sagte Jutta wieder etwas wütender, »wie ich das meinen Gästen erklären soll?«
Mein Gleichmut angesichts des zu erwartenden Partygaus machte sie offensichtlich rasend. Mir war bis dahin gar nicht bewusst gewesen, welche Fähigkeiten jederzeit abrufbereit in meinem Innern schlummerten.
»Sag einfach, dass dein Mann unglücklich ist«, erklärte ich ruhig.
»Unglücklich?« Sie sah mich fassungslos an. Mit allem schien sie gerechnet zu haben, nur nicht, dass ihr Ehemann unglücklich war. »Aber du hast doch alles, was du willst!«
»Genau«, sagte ich, »aber das reicht mir nicht mehr.«
»Es reicht dir nicht? Was willst du denn noch?«
Das war eine gute Frage. Und wie alle guten Fragen war sie im Grunde nicht zu beantworten. Jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt.
Ich merkte, wie mich solche Diskussionen erschöpften. Ich war in einem Alter, wo alles Wesentliche längst besprochen war. Seit Jahren ging es nur noch um Kleinigkeiten, die inzwischen jedoch so viel Platz einnahmen, dass sie vom Wesentlichen kaum zu unterscheiden waren.
Ich drehte mich auf den Rücken und faltete die Hände.
»Ich weiß nicht«, sagte ich, »irgendeinen Urknall.«
Jutta schüttelte den Kopf. »Ich wäre dir sehr verbunden, wenn dein Urknall nicht heute stattfindet.« Sie wandte sich zum Gehen.
»Das liegt nicht in meiner Hand«, wehrte ich jegliche Verantwortung ab.
Auf der Schwelle zum Wohnzimmer drehte sie sich noch einmal um. »Ziehst du dir wenigstens was anderes an, oder liegt das auch nicht in deiner Hand?«
Ich trug ein dottergelbes T-Shirt und natogrüne Shorts. Nie hatte ich mich passender angezogen gefühlt als in diesem Moment.
»Ich werde die Angelegenheit prüfen«, sagte ich.
»Dann prüfe bitte sofort«, sagte sie und verschwand im Haus.
Ich prüfte natürlich nicht!
Bis zum Eintreffen der Gäste lag ich still auf der Schaukel und fragte mich, ob mein Hauptproblem wirklich darin lag, dass ich keine Probleme hatte. Mir war es tatsächlich immer gut gegangen. Ich hatte keine schlimme Kindheit gehabt, die ich mein Leben lang bewältigen musste, ich hatte die meiste Zeit meines Erwerbslebens keine Probleme mit der Arbeit gehabt, und als Probleme auftauchten, war ich in der glückliche Lage, auf die Arbeit nicht angewiesen zu sein. Alle Schwierigkeiten machten seit jeher einen großen Bogen um mich, als würden sie ahnen, dass ich ihnen nicht gewachsen war. Aber irgendwie fühlte ich mich dadurch auch ein wenig gedemütigt. Alle hatten mit diversen Problemen
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