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Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)

Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)

Titel: Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Beldt
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hinein. Ich drückte das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Der Motor heulte auf. In diesem Augenblick erkannte uns Gunnar und lächelte freundlich zu uns herüber. Offensichtlich fühlte er sich nicht im Geringsten herausgefordert. Jutta winkte ihm sogar zu, was er mit einem neckischen Augenzwinkern beantwortet.
    »Das ist ja lustig«, meinte sie noch, »ich habe ihn gar nicht gesehen!«
    Plötzlich sprang die Ampel auf Grün. Ich stieß das Pedal so heftig in den Boden, dass unsere Köpfe gleichzeitig nach hinten ruckten.
    Wir schossen über die Kreuzung hinauf zur Stadtautobahn und ließen Gunnar schnell, vielleicht ein wenig zu schnell hinter uns. Ich saß vorgebeugt und hielt das Pedal durchgedrückt. Immer wieder blickte ich nervös in den Rückspiegel. Doch Gunnar schien weiter zurückzufallen. Er hatte verstanden, dass er nicht mit mir mithalten konnte. Ich lächelte. Durch meine vorgebeugte Haltung konnte ich Jutta leider nicht sehen. Ich hätte gerne ihr ängstliches Gesicht gesehen. Ich hätte gerne gesehen, wie sie hilflos in ihren Sitz gepresst saß und mich flehend anblickte.
    Auf einmal merkte ich, wie ein Golf Cabrio mit mindestens hundertachtzig Sachen an uns vorbeischwebte. Es war Gunnar. Als er uns überholt hatte, setzte er sich vor uns und machte ein Victory-Zeichen in die Luft. Offenbar hatte er mir extra Vorsprung gewährt, um seinen Triumph nachher noch größer erscheinen zu lassen.
    »Und«, fragte Jutta gelassen, nachdem Gunnars Golf vor uns verschwunden war, »habt ihr es euch jetzt endlich gezeigt?«

9
    Zoe hatte mir eine Nachricht in den Briefkasten geworfen. »Treffen Bahnhof Grunewald 2 WICHTIG !« Nach meiner Interpretation musste das heißen: Sie hatte mich heute Mittag um zwei Uhr zum S-Bahnhof Grunewald bestellt, um mir etwas Wichtiges mitzuteilen. Unterschrieben war das Ganze mit einem Z auf das zwei lange Ohren gemalt waren. Nun war gegen ein beohrtes Z nichts zu sagen, aber dass sie annahm, ich hätte an einem normalen Werktag Zeit und würde ohne weiteres ihren Aufforderungen folgen, machte mich für einen Moment sprachlos.
    Allerdings war nicht zu leugnen, dass ich an diesem wie auch an allen anderen Werktagen plus Sonn- und Feiertagen mehr Zeit hatte, als mir lieb sein konnte. Denn seit ich mein Engagement in Haus und Garten stark reduziert hatte, war ich hauptsächlich damit beschäftigt, eine für mein Alter und Geschlecht adäquate Herausforderung zu finden, die ich auf möglichst souveräne Art meistern konnte.
    Bislang jedoch ohne Erfolg. Ein Problem, das mich nicht überforderte, gleichzeitig aber genügend Potenzial besaß, um nicht in zwei Stunden bewältigt zu werden, war schwerer zu finden, als ich gedacht hatte. Nach sechsundvierzig problemfreien Jahren schien ich mich von allen Problemen so weit entfremdet zu haben, dass ich selbst grundsätzlich infrage kommende Probleme nicht mehr erkannte.
    Dabei gab es weltweit so viele Krisenherde, dass der Großteil der Menschheit für Jahre versorgt war. Hunger, Krankheiten, Klimawandel und Kriege. Die Probleme der anderen waren mir durchaus bewusst, und ich half, wo immer es ging.
    In der U-Bahn kaufte ich nicht nur alle angebotenen Obdachlosenzeitungen, sondern las sie auch noch von der ersten bis zur letzten Seite durch, damit die Arbeit der Redaktion nicht völlig umsonst blieb. Diversen Hilfsorganisationen überwies ich regelmäßig beträchtliche Summen. Zu Weihnachten kaufte ich die von geistig Behinderten gemalten Weihnachtskarten, obwohl ich nie Weihnachtskarten verschickte. Ich war so hilfsbereit, dass ich in großem Umfang Zeitschriftenabonnements erwarb, weil mir die traurigen, zumeist älteren Herren an der Haustür leidgetan hatten. Wildfremde Menschen hatte ich ins Haus gelassen, um mir von ihnen Versicherungen aufdrängen zu lassen, die ich nicht brauchte. Ich bin so gut versichert, dass ich für einen leichten Husten Geld bekommen würde. Ich las Anglerzeitschriften und Sportmagazine, weil ich die Hoffnung hatte, dass mich Angeln und Sport eines Tages vielleicht doch noch interessieren könnten.
    Doch meine Gutmütigkeit wurde nicht honoriert. Wenn ich einer Versicherung kündigen wollte, verwies man aufs Kleingedruckte, in dem stand, dass ich vor Ablauf einer Dreijahresfrist nicht kündigen durfte. Der Bettler, dem ich mehrmals in der Woche Geld in die Mütze legte, warf mir Hartherzigkeit vor, wenn ich ihn einmal vergessen hatte. Eine Frau, der ich im Winter zwei Stunden geholfen hatte, ihr Auto von

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