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Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)

Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)

Titel: Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Beldt
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Pfeife aus dem Mund und blickte mich ernst an.
    »Als Piratenfreund musst du jetzt noch eine wichtige Aufgabe erledigen«, erklärte sie.
    »So«, sagte ich wenig begeistert, was sie jedoch keinesfalls bremste.
    Sie stand auf, beugte sich über einen offenen Pappkarton neben der Bank und zog zu meiner Verblüffung ein schneeweißes Kaninchen mit roten Augen heraus.
    »Das ist ›Ratte‹«, erklärte Zoe und hob das ebenso verblüfft wie schläfrig wirkende Kaninchen auf den Tisch, wo es ohrenwackelnd sitzen blieb.
    »Eigentlich ist es aber ein Kaninchen«, versuchte ich sie behutsam von der selbst mir geläufigen zoologischen Tatsache zu überzeugen.
    Zoe schüttelte vehement den Kopf. »Sie heißt Ratte, weil sie für mich eben eine Ratte ist.«
    Das Tier sah einer Ratte nicht einmal ähnlich, doch es schien zwecklos, Zoe von ihrer Überzeugung abzubringen. Andererseits, wer schrieb einem eigentlich vor, dass ein Kaninchen nicht auch mal eine Ratte sein durfte? Vielleicht benahm es sich wie eine Ratte und fühlte sich überhaupt nicht als Kaninchen. Der Fall begann mich zu interessieren.
    »Und wie kommst du darauf«, fragte ich neugierig, »dass es Ratte heißt?«
    »Du darfst doch nicht fragen!«, wies Zoe mein Interesse zornig zurück.
    »Ach ja«, sagte ich demütig meinen Kopf senkend, und nach einer kurzen Pause: »Und was soll ich jetzt tun?«
    Zoe seufzte und verdrehte die Augen wie eine Mutter, die ihrem Kind vergeblich versuchte Manieren beizubringen.
    Ich wollte die Aufgabe schnell hinter mich bringen, wobei noch gar nicht klar war, ob mich das hinterher irgendwie weiterbrachte. Doch mein Gefühl riet mir, alles zu tun, was auch nur entfernt nach einer Herausforderung aussah.
    »Du musst Ratte zwischen die Ohren küssen und dann bis zehn zählen. Wenn sie sich nicht bewegt, hast du bestanden.«
    »Ich dachte, ich hätte schon alles bestanden.«
    »Hast du etwa Angst vor Ratte?« Zoe blickte mich prüfend an.
    Natürlich hatte ich keine Angst, fragte mich allerdings, ob Jutta bei den Herausforderungen auch an so etwas gedacht hatte. Leider würde ich es nie erfahren, denn ich hatte keinesfalls vor, ihr von dieser Geschichte zu erzählen.
    »Nein, nein«, erwiderte ich locker. Schließlich hatte ich in meinem Leben schon vieles geküsst. Frauen ebenso wie den Boden meiner Heimatstadt, als ich nach drei Wochen Tunesien aus dem Flugzeug gestiegen war. Ich hatte sogar schon eine besonders schöne Orchidee geküsst, warum sollte ich also nicht mal ein Kaninchen küssen?
    Ich setzte mich neben Zoe auf die Bank.
    »Du darfst es aber nicht festhalten«, befahl sie mir, »sonst zählt es nicht!«
    Ich nickte und beugte mich langsam über das Kaninchen. Da sein Hinterteil mir zugewandt war, befürchtete ich jedoch, es könnte sich erschrecken. Womöglich reagierte es aggressiv und biss mir in die Nase. Manchmal wunderte man sich, zu was solch harmlos wirkende Geschöpfe alles fähig waren. Während ich meinen gespitzten Mund auf den Kopf zubewegte, überlegte ich, ob es sinnvoll war, irgendetwas zu sagen. Aber was sagte man so einem Kaninchen, ohne Gefahr zu laufen, dass es einen falsch verstand?
    Ich begann leise zu murmeln. »Du bist ein liebes Tier, du brauchst keine Angst zu haben, ich werde dich zehn Sekunden zwischen die Ohren küssen und danach nie wieder berühren.« Es war völliger Schwachsinn.
    Ich schob meine Lippen vor und senkte sie auf den Kopf. Die zehn Sekunden, die ich zwischen den Kaninchenohren verbrachte, waren so ziemlich die längsten Sekunden meines Lebens. Glücklicherweise schien das Tier bereits einige Erfahrungen damit gesammelt zu haben. Bis auf die Ohren rührte sich nichts. Ja, es sah ganz so aus, als würde Ratte diese Berührung sogar genießen, was mich ein wenig irritierte. Jedenfalls war ich froh, als die zehn Sekunden endlich vorbei waren.
    »Und?«, fragte ich Zoe, nachdem ich mich zurückgelehnt hatte.
    Sie grinste, wurde jedoch sofort wieder ernst. »Ich denke, das ist okay.« Sie öffnete die kleine Truhe auf dem Tisch und entnahm einen Siegelring. »Der ist für dich. Du musst ihn immer tragen als Zeichen, dass du ein Pirat bist.« Erst als sie ihn mir feierlich überreichte, merkte ich, dass er aus Plastik war. Ich streifte ihn über den kleinen Finger. In diesem Augenblick empfand ich eine seltsame Genugtuung. Es war lächerlich, aber es machte mich plötzlich stolz, ein Pirat zu sein.
    Kurz darauf wurde ich jedoch wieder nachdenklich. »Und was habe ich jetzt eigentlich

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