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Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)

Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)

Titel: Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Beldt
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Schneemassen zu befreien, grüßte mich später nicht einmal mehr.
    Nur waren das alles eben die Probleme der anderen. Ich hatte immer noch keine eigenen, ausschließlich mir gehörenden Probleme, und das machte mir langsam Sorgen.
    Als ich um kurz nach zwei den S-Bahnhof Grunewald erreichte, winkte mich Zoe schon von weitem ungeduldig heran.
    »Wo bleibst du denn?«, rief sie verärgert.
    Ich entschuldigte mich und suchte rasch nach einer Erklärung, die mir aber nicht einfallen wollte. Ich staunte, dass Zoe mich bereits fest im Griff hatte. Und ich ließ es mir offenbar widerstandslos gefallen.
    Zoe wies mich an, ihr zu folgen.
    An einem Zeitungskiosk schlüpfte sie durch ein halb offen stehendes Gitter und lief einen schmalen Pfad direkt neben dem Bahndamm entlang. In dem wild wuchernden Gestrüpp unterhalb der Gleise hingen Zeitungsseiten, Bierdosen und Chipstüten, die anscheinend aus den Zügen geworfen worden waren. Wir passierten aber auch kaputte Waschmaschinen, Fernseher und Matratzen. Sogar ein Sofa stand zur sofortigen Benutzung bereit. Ein wenig fühlte ich mich wie ein Entdecker inmitten der Reste einer untergegangenen Zivilisation. Und dass wir uns vermutlich auf verbotenem Gelände bewegten, machte die Sache noch abenteuerlicher. Ich hatte den Eindruck, dass ich gerade dabei war, etwas nachzuholen, was ich eigentlich nie vermisst hatte, und das verunsicherte mich.
    Weiter hinten öffnete sich der Weg und machte Platz für Schrebergärten und Datschen, die ich an dieser Stelle gar nicht vermutet hätte. Langsam ahnte ich, wohin Zoe mich führte.
    Kurz darauf stoppte sie vor einer erstaunlich großen Holzhütte. Der Garten war verwildert, ansatzweise konnte man Beete erkennen, die von gärtnerischen Ambitionen zeugten. Die Hütte selbst sah aus, als würde sie den nächsten Sturm nicht überstehen. Fensterläden hingen schief oder waren gar nicht vorhanden, in der Tür fehlte ein ganzes Brett, und auf dem Dach wuchsen kleine Birken.
    »Da wären wir«, sagte Zoe und deutete stolz auf die Bruchbude. »Das ist das Piratenhauptquartier!«
    »Aha«, meinte ich wenig beeindruckt. Ich hatte mir Piratenhauptquartiere irgendwie anders vorgestellt. Außerdem befürchtete ich, sie könnte die Hütte widerrechtlich in Beschlag genommen haben, als sie Entwarnung gab.
    »Hat mal meinem Opa gehört«, erklärte sie, »aber der ist schon tot.«
    Meine Erleichterung hielt jedoch nicht lange an. Als sie die Tür öffnete und ich ihr nach drinnen folgte, erblickte ich einen völlig verwahrlosten Raum. Der größte Teil war mit Gartengeräten zugestellt. Hacken, Schaufeln, Gießkannen, Schläuche und ein Rasenmäher. Auf der anderen Seite Müllsäcke, übereinandergeworfene Campingstühle, eine Altpapiersammlung bis fast unter die Decke und eine durchgesessene Couch, auf der ein alter Plattenspieler sowie mehrere Gartenzwerge standen. An den Wänden vergilbte Poster mit Bergmotiven und Hirschgeweihe, an denen Hüte und Mäntel hingen. In einer winzigen Kochnische stapelte sich schmutziges Geschirr. Der Boden war mit Zeitungen und karierten Decken ausgelegt. Es roch muffig wie in einem Keller. Mein erster Gedanke war: Aufräumen. Doch alles schien so unentwirrbar ineinandergestellt, als würde sich der Raum jeder ordnenden Hand von vorneherein widersetzen.
    Nur eine Ecke im hinteren Teil fiel ein wenig aus dem Rahmen. Eine Bank mit Kissen und Decken stand neben mehreren zu einem Tisch zusammengeschobenen Hockern. Darauf ein großer silberner Kerzenleuchter und eine Miniaturtruhe. An der Wand darüber hing eine selbst gemalte Landkarte und eine Fahne mit Totenkopfmotiv.
    Ich war entsetzt, ließ mir aber nichts anmerken, um sie nicht zu enttäuschen.
    »Und was wolltest du mir jetzt so Wichtiges zeigen?«, fragte ich vorsichtig in der Annahme, dass die Hauptsache erst noch kam.
    Zoe setzte sich auf die Bank, zog die Augenklappe übers Gesicht und zündete die Kerzen an.
    »Du darfst mich nur fragen, wenn ich es dir erlaubt habe«, sagte sie streng.
    »Okay«, sagte ich.
    »Jetzt«, sagte sie einige Sekunden später, als sie ihre Plastikpfeife gefunden und ein paarmal wichtig daran gezogen hatte.
    Ich wiederholte meine Frage noch einmal.
    Sie ließ mich schmoren, verschränkte die Arme und blickte sich mit erhobenem Kopf im Raum um, als wäre sie die uneingeschränkte Herrscherin nicht nur über dieses Haus, sondern den gesamten Grunewald. Draußen donnerten die Züge vorbei, dass das Haus vibrierte. Schließlich nahm sie die

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