Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)
weiter nachzufragen. Sie rannte die Freitreppe hinauf und suchte alle Säulen ab. Ich wartete unten. An der letzten Säule hörte ich ihren triumphierenden Aufschrei. »Ich hab ihn!«
Kurz darauf kehrte sie mit den Goldtalern zurück. »Zehn Taler«, sagte sie und streckte mir ihre Hände entgegen. Doch sie wirkte nicht ganz zufrieden mit ihrem Fund. Nachdem sie die Taler eine Weile betrachtet hatte, sah sie ernst zu mir auf.
»Du hast sie da versteckt, stimmt’s?«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
»Piraten sagen sich immer die Wahrheit«, fügte sie noch hinzu.
»Okay«, sagte ich, »es stimmt. Ich war’s.«
Als sie merkte, wie unangenehm es mir war, drückte sie mir zwei Taler in die Hand.
»Weil sie aus Schokolade sind, verzeihe ich dir.«
Ich blickte auf meine Taler. »Und warum bekomme ich nur zwei?«
Zoe hob grinsend den Kopf. »Weil ich acht Jahre alt bin, deshalb.«
Ihre Logik verblüffte mich. »Dann bin ich also zwei Jahre alt?«
Sie dachte kurz nach. »Wenn es nicht mehr Taler gibt, schon.«
Ich lächelte. Eigentlich war es mir sogar ganz recht, dass es nicht mehr Taler gab.
Während wir auf einer Bank in der Sonne saßen und den Schatz nach und nach verspeisten, sah ich auf der anderen Straßenseite eine Frau und einen Mann vorbeilaufen, die mir irgendwie bekannt vorkamen. Zunächst glaubte ich mich getäuscht zu haben, da ich den merkwürdigen Watschelgang der Frau nicht mit einer mir bekannten Person in Verbindung bringen konnte. Doch dann erkannte ich Gunnar, und als ich Gunnar erkannt hatte, wurde mir klar, dassdie Frau neben ihm niemand anders war als Jutta.
Ich erschrak. Weniger darüber, die beiden zur Mittagszeit hier zu sehen – das Justizministerium befand sich schließlich gleich um die Ecke – , vielmehr erschrak ich über den Watschelgang meiner Frau. Mir war nicht bewusst gewesen, dass Jutta sich fortbewegte wie eine Ente. Allerdings hatte ich sie auch noch nie aus dieser Entfernung beobachtet. Dass ich immer wieder Neues an meiner Frau entdecken konnte, hielt unsere Beziehung lebendig.
Aber wohin strebten die beiden eigentlich so eilig? Ich erinnerte mich, dass Gunnar mir von sporadischen Mittagessen mit meiner Frau erzählt hatte, bei denen gerne vertrauliche Themen erörtert wurden. In dieser Sekunde wurde mir klar, dass es sich dabei nicht um politische Themen handelte, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach um private. Die beiden nutzten die Mittagspause, um sich wieder ein Stück näherzukommen.
Ich sprang auf. Mir wurde sofort schwindelig von dieser plötzlichen Bewegung.
»Wo willst du denn hin?«, fragte Zoe erstaunt. »Wir haben doch die Schokolade noch gar nicht aufgegessen.«
»Wir müssen jemanden verfolgen«, sagte ich geheimnisvoll, was Zoe sofort aufhorchen ließ.
»Und wen?«
»Das wirst du gleich sehen.«
Wir liefen hinter den beiden her. Als wir um die Ecke in eine Seitenstraße einbogen, sahen wir gerade noch, wie sie in einem Restaurant verschwanden. Ich ging auf die andere Straßenseite und versuchte, sie durch die große Frontscheibe des Lokals zu orten. Tatsächlich setzten sie sich direkt neben dem Eingang ans Fenster. Wir hatten uns derweil hinter einem Auto versteckt. Zoe aß weiter unbekümmert ihre Goldtaler, während ich überlegte, was jetzt zu tun war. Denn viel zu sehen gab es eigentlich nicht. Es wurde weder Händchen gehalten, noch gab es andere Hinweise auf eine intime Beziehung. Vermutlich hatten sie sich sogar bewusst ans Fenster gesetzt, um jeden Verdacht auf ein heimliches Tête-à-tête von vornherein zu entkräften.
Ich musste zugeben, dass mich ihre Strategie beeindruckte. Gleichwohl war unschwer zu erkennen, dass sie sich eine Menge zu sagen hatten.
Auf einmal hatte ich eine verwegene Idee.
»Hast du Lust auf eine Piratenaufgabe?«, fragte ich Zoe, die ihre Taler inzwischen aufgegessen hatte.
»Na klar!«, sagte sie ohne Umschweife und blickte mich neugierig an.
»Piraten dürfen doch auch Leute belauschen, oder?«
»Piraten dürfen alles!«, erklärte sie empört.
»Sehr gut«, sagte ich, »siehst du die beiden dort hinter dem Fenster?«
Zoe sah nur flüchtig rüber, als würde sie das Thema gerade nicht sonderlich interessieren.
»Wenn du in das Lokal gehst und dir fünf Minuten anhörst, was sich die beiden erzählen, bekommst du eine große Tafel Schokolade.«
Sie zögerte und blickte noch einmal hinüber. »Fünf große Tafeln und eine Tüte Gummibären!«
Ich willigte sofort ein.
Sie überquerte die
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