Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)
ihre Frage, was ich denn so lange im Badezimmer treibe. Die Beziehung endete in dem Augenblick, als sie erfuhr, wie viel ich für Körperpflegeprodukte ausgab, während ich für gemeinsame Unternehmungen wie Kino oder Restaurantbesuche kaum noch Geld übrig hatte. Meiner zweiten Freundin langte es schon, als sie mitbekam, dass ich einmal im Monat zur Körperenthaarung ein Kosmetikstudio aufsuchte. Offenbar besagte ein ungeschriebenes Gesetz, welches entgegen anderslautenden Meinungen auch in Zeiten der Emanzipation seine volle Gültigkeit hatte, dass ein Mann seinen Fuß nicht ungestraft auf Felder setzen durfte, die traditionell von Frauen bewirtschaftet wurden.
Danach hielt ich mich bei Frauenbekanntschaften zurück und führte das ausgeglichene Leben eines Mannes, der am Abend gerne Gurkenmasken trug und in Arztpraxen am liebsten in Frauenzeitschriften blätterte.
Bis zu dem Tag, als ich Jutta Wollmann kennenlernte.
Jutta war sieben Jahre älter als ich, einmal geschieden und arbeitete im Bundesjustizministerium, Abteilung Europäisches Recht. Schon damals hatte sie eine steile Karriere hinter sich, die sie bis kurz unter die Position eines Staatssekretärs geführt hatte. An diesem Vormittag hielt sie im Audimax der Freien Universität vor Jurastudenten eine Rede über die Vereinheitlichung europäischer Rechtsprechung. Ich saß in der ersten Reihe und sollte einen Bericht für das Nachrichtenblatt der Universität schreiben. Und obwohl ich nicht die geringste Ahnung von europäischer Rechtsprechung hatte, war ich von ihrem Vortrag derart gefesselt, dass ich völlig vergaß mitzuschreiben, was zur Folge hatte, dass ich nicht in der Lage war, auch nur einen Absatz lang darüber zu berichten. Nach der Rede trat ich deshalb kurz entschlossen auf sie zu und erbat mir ihr Redemanuskript. Zunächst reagierte sie zögernd, da sie mich wohl für einen Studenten hielt. Als ich ihr jedoch den Grund meines Anliegens erklärte, wurde sie zutraulich und bat mich für ein kurzes Gespräch in einen Nebenraum. Ob ich irgendwelche Frage hätte, fragte sie geschäftsmäßig. Ich verneinte, obwohl ich sie gerne gefragt hätte, woher sie den schicken, dunkelgrauen Hosenanzug hatte. Sie sah ein bisschen so aus wie jene Frauen aus den zwanziger Jahren, mit Bubikopf und weiten Hosen. Eigentlich fehlte nur noch die Zigarette in ihrem Mundwinkel. »Rauchen Sie?«, fragte ich plötzlich, nur um irgendetwas zu sagen. Sie blickte mich fassungslos an, sodass ich schon Sorge hatte, sie könnte wortlos aufspringen und den Raum verlassen. Doch stattdessen lachte sie und warf ihren Kopf in den Nacken, wie ich es später noch sehr oft erlebt habe. »Endlich mal jemand, der mich was Persönliches fragt!«, rief sie beinahe erleichtert. Und dann beantwortete sie zwar nicht meine Frage, sondern erzählte eine Stunde lang von ihrem Alltag, dem Paragrafendschungel, den politischen Kungeleien und den endlosen Debatten. Ich hörte ihr aufmerksam zu. Ich konnte stundenlang ohne mit der Wimper zu zucken nur zuhören. Mich interessierte es, was andere Menschen zu sagen hatten, zumal ich selbst eher ungern redete und meist auch gar nicht wusste, was ich sagen sollte. Wahrscheinlich gab es einfach zu viel zu sagen, und das überforderte mich so, dass ich lieber schwieg und mir meine paar Gedanken machte. Oder eben uneingeschränkt zuhörte. Und das qualifizierte mich offenbar für eine Frau wie Jutta. Sie habe noch nie einen Mann getroffen, der sich so wenig in den Vordergrund dränge, sagte mir Jutta später einmal anerkennend, da waren wir bereits mehrere Monate ein Paar.
Für den Vordergrund wäre ich allerdings auch die denkbar schlechteste Besetzung gewesen. Ich bin mittelgroß, füllig, trage eine Brille, und wenn ich gehe, wirke ich laut Marianne immer etwas orientierungslos. Ich bin der Mann in der Menge. Ich bin der, der in Filmen den »Passanten« spielt, um der Szene eine realistische Atmosphäre zu geben.
Zu meiner Überraschung fand Jutta Gefallen an so einem Mann. Vielleicht war es auch nur der Kontrast zu ihrem Exgatten, der als Staatssekretär im Bundesinnenministerium immer die Hauptrolle spielen wollte. Denn eines Tages – wir saßen im Esszimmer ihres Grunewalder Hauses, das sie seit der Scheidung allein bewohnte – fragte sie mich beim Abendbrot ganz sachlich, ob ich sie heiraten wolle, als wäre das gar nichts Besonderes. Ich hatte nie ans Heiraten gedacht. Zwar wollte ich nicht einsam sterben, schon deshalb, um nicht dem
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