Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)
konnte, indem ich schreckliche Laute von mir gab oder mich seltsam bewegte.
»Wir gehen da rein«, sagte Zoe.
»Und wann bekomme ich den Taler?« Ich wollte sicher sein, dass ich mir den Taler auch wirklich verdiente.
»Wenn du jemanden erschreckt hast«, meinte sie vage.
»Einer genügt also?«
»Vielleicht«, sagte sie und grinste, als würde sie die Regeln nach Bedarf jederzeit ändern können. Auch Jutta hatte ich in solchen Fällen schon ähnlich grinsen sehen. Offenbar war der großzügige Umgang mit selbst geschaffenen Regeln die weibliche Art, Macht über einen auszuüben.
Es blieb mir wieder nichts anderes übrig, als mich zu fügen.
Im Supermarkt trennten wir uns. Während Zoe rasch aus meinem Blickfeld verschwand, wankte ich wie ein Betrunkener durch die Gänge. Soweit ich sehen konnte, war nicht viel los. Der Montagvormittag war eigentlich der ungünstigste Zeitpunkt, um Leute zu erschrecken. Die meisten Hausfrauen waren noch erschöpft vom prall gefüllten Familienwochenende und gingen erst nachmittags in den Supermarkt. Am Anfang meines Lebens als Hausmann hatte ich mir gerne den Montagvormittag zum Einkaufen ausgesucht, weil ich zu diesem Zeitpunkt keine irritierten Blicke befürchten musste. Als einziger Mann in mittleren Jahren gehörte ich in diesem Umfeld zu einer Ausnahmeerscheinung, die der heimliche Bannstrahl fortpflanzungsfähiger Frauen traf. So einen Mann konnte frau einfach nicht ernst nehmen. Am Montagvormittag waren meist nur Rentner oder Arbeitslose unterwegs, weshalb ich in Rentnerkreisen schnell eine bekannte Größe war. Man grüßte sich vielsagend, als wäre man als Mitglied der Montagvormittagseinkäufer Teil einer eingeschworenen Gemeinschaft.
Tatsächlich waren auch diesmal nur Rentner unterwegs. Und wie immer waren es hauptsächlich Frauen, was mir für die Umsetzung meines Plans günstig erschien. Denn alte Frauen waren viel leichter zu erschrecken als alte Männer, die zum Teil noch Kriegserfahrungen hatten und so leicht nichts umhauen würde, nicht einmal Frankensteins Monster.
Ich bewegte mich zügig, aber keinesfalls hastig zu den Mehl- und Teigwaren. Aus Erfahrung wusste ich, dass sich Rentnerinnen gerne im Umfeld von Kuchenfertigmischungen aufhielten. Ja, man konnte sicher sein, dort alten Frauen zu begegnen, die bereits für das Kaffeekränzchen am Nachmittag planten.
Wie erwartet, stand vor dem Regal eine Frau in einem zeltartigen Sonnenblumenkleid, das ihren wie einen Hefeteig aufgegangenen Körper gnädig verhüllte. Ich war immer begeistert, mit welchem Selbstbewusstsein alte Frauen ihre von reichlich Süßwaren schwer gezeichneten Körper mit den unförmigsten Kleidern behängten. Offensichtlich war ihnen ihre Wirkung auf andere längst vollkommen egal, eine Einstellung, die ich hoffte, mir irgendwann auch zu eigen zu machen.
Ich stellte mich dicht neben sie und studierte ebenfalls die Auswahl. Dabei atmete ich unter der Maske so laut und schwer, dass es selbst für Hörgeschädigte gut zu vernehmen sein musste. Aber ob es daran lag, dass ich mindestens zwei Köpfe größer war als sie oder ob ihr laut und schwer atmende Menschen aus ihrer näheren Umgebung längst vertraut waren, jedenfalls nahm die Frau keinerlei Notiz von mir. Völlig unbeeindruckt suchte sie das Regal nach einer geeigneten Kuchenmischung ab, während ich ihr dicht auf den Fersen war. Aus lauter Verzweiflung begann ich zu husten. Die Maske blähte sich unter den Atemwellen jedes Mal kurz auf. Doch auch das schien die Frau überhaupt nicht zu stören. Sie war kurz davor, die Schwarzwälderkirschmischung aus dem Regal zu nehmen, als ich anfing, irgendwas vor mich hin zu murmeln. Es hörte sich an, als würde ich aus einem tiefen Brunnen zu ihr sprechen. Doch anstatt erstaunt zu mir aufzuschauen, nickte sie lediglich kurz, als würde sie mir zustimmen, griff nach der Fertigmischung und ging zufrieden davon.
Ich war empört. So schwer hatte ich mir das Leute-Erschrecken nicht vorgestellt. Vielleicht waren alte Leute einfach die falschen Ansprechpartner. Vielleicht konnte sie gar nichts mehr erschrecken, wo doch der nahende Tod schon erschreckend genug war.
Als Nächstes nahm ich mir einen Mann vor, der am Getränkeregal gerade eine Batterie Bierflaschen in seinem Einkaufskorb verstaute. Er war etwa in meinem Alter, wirkte jedoch stark vernachlässigt. Offenbar ein Alkoholiker, der sich Nachschub besorgte. Auch er schien den Montagvormittag zu nutzen, um ungestört von verletzenden
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