Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)
Bärenfell herumlaufen.
14
Nur mit Zoe gelang es mir, für einige Stunden eine Auszeit zu nehmen. Und je länger ich nach männlichen Herausforderungen suchte, die meiner Frau angemessen erschienen, desto wichtiger wurden mir diese Stunden freier Entfaltung.
Ich hatte Zoe einen Gefallen tun wollen. Auf einem unserer letzten Streifzüge hatte sie mich gefragt, ob wir nicht einmal »Leute erschrecken« spielen könnten, was ich mit dem Hinweis auf das hohe Durchschnittsalter der Bevölkerung in unserem Viertel zunächst jedoch abgelehnt hatte. Es war einfach nicht zu verantworten, hinter Bäumen hervorzuspringen und alte Damen zu erschrecken. Doch dann erinnerte ich mich, dass ich in meiner Kindheit auch immer gerne Leute erschrecken wollte, es aber aus Scham nie in die Wirklichkeit umgesetzt hatte.
Im Internet entdeckte ich eine Firma, die mit Masken handelte. Von Politikermasken bis Gruselmasken, die häufig kaum voneinander zu unterscheiden waren. Merkwürdigerweise gefiel mir die Maske von Frankensteins Monster am meisten. Ich hatte keine Ahnung, weshalb mich ausgerechnet die brutalste Maske in eine derartige Vorfreude versetzte.
Zoe erzählte ich nichts von meiner Erwerbung. Erst als wir uns das nächste Mal an unserem gewohnten Treffpunkt an der Eiche begegneten, zog ich die Maske aus der Tasche und setzte sie auf. Ihre erste Reaktion erschreckte mich allerdings so, dass ich die Maske gleich wieder abnehmen wollte. Sie lachte so laut, dass es kilometerweit zu hören war.
»Ich dachte, wir wollten Leute erschrecken«, brummte ich beleidigt durch den schmalen Mundschlitz.
»Du siehst so lustig aus«, prustete Zoe und bog sich vor Lachen, was ich nun doch etwas übertrieben fand. Ich war mit Zoe eigentlich immer gut ausgekommen, nur manchmal, wenn das Kindliche allzu sehr durchschlug, fühlte ich mich veranlasst, ein strenges Wort an sie zu richten.
»Erst willst du Leute erschrecken«, sagte ich, »und dann findest du es zum Totlachen. Du weißt auch nicht, was du willst, oder?«
Im selben Moment erkannte ich, dass es absurd war, ein achtjähriges Mädchen auf etwas festlegen zu wollen.
Zoe musterte mich auf einmal ernst.
»Wenn du so in den Supermarkt gehst und Leute erschreckst, bekommst du einen Piratentaler«, erklärte sie.
Das ließ ich mir nicht zweimal sagen, obwohl ich keine Ahnung hatte, welchen Wert so ein Piratentaler überhaupt hatte. Aber ich freute mich, auch einmal etwas geschenkt zu bekommen. Im Grunde hatte ich nur den Wunsch, für meine Leistung hin und wieder eine Belohnung zu erhalten, ganz egal ob es ein Piratentaler war oder etwas anderes.
Wir gingen zum Supermarkt.
Da ich durch die Maske nur schwer sehen konnte, musste Zoe mich an der Hand nehmen, um nicht versehentlich auf die Straße zu stolpern. Ich fühlte mich plötzlich wie ein alter Mann. Ein Mann, der nicht mehr in der Lage war, selbstständig zum Supermarkt zu laufen. Bald würde ich tatsächlich auf Hilfe angewiesen sein. In wenigen Jahren, vielleicht schon in fünfundzwanzig Jahren, müssten mich fremde Menschen über die Straße begleiten oder die Einkünfte erledigen.
Die Vorstellung erschreckte mich. Erst vor kurzem, meinte ich mich zu erinnern, war ich noch froh gewesen, endlich ein eigenes Leben zu führen. Ein Leben, das ganz meinen Vorstellungen entsprach und nicht mehr von irgendwoher entliehen war. Ich hatte lange gebraucht, bis ich mich selbst gefunden hatte. Viele schlaflose Nächte und quälende Tage vergingen, ehe mir klargeworden war, was ich wirklich am liebsten mochte. Und schon bald sollte das alles wieder der Vergangenheit angehören, wenn ich dieses Leben nur noch mithilfe anderer bewerkstelligen konnte. Noch mehr erschrak ich allerdings, als ich bemerkte, dass die Passanten, denen wir begegneten, keineswegs beunruhigt erschienen, Frankensteins Monster an der Seite eines Kindes spazieren gehen zu sehen. Die meisten sahen uns nicht einmal an, als wäre es ihnen schon zu viel, an dieser durchaus fragwürdigen Konstellation Anstoß zu nehmen. Die zunehmende Toleranz der Leute ärgerte mich. Wenn man nicht mal mehr die Leute erschrecken konnte, war es um unsere Gesellschaft schlecht bestellt.
Das alles verhieß nichts Gutes für meinen Plan. Als wir am Supermarkt angekommen waren, hatte ich große Zweifel, ob ich mit dieser Maske überhaupt die richtige Wahl getroffen hatte.
»Und jetzt?«, fragte ich, nachdem mich Zoe losgelassen hatte. Ich wusste nicht, ob ich meine Wirkung noch irgendwie steigern
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