Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)
Blicken seinen Neigungen nachzugehen. Ich langte nach einer Flasche Weißbier und ging sofort in die Offensive.
»Das ist ja unverschämt, wie teuer das ist«, brummte ich aus meinem Brunnen herauf.
Der Mann reagierte jedoch nicht sofort, zu sehr war er mit dem Füllen seines Korbs beschäftigt. Als kein Platz mehr für eine weitere Flasche war, sah er mich an.
»Du musst dir das hier kaufen«, sagte er ungerührt und tippte auf die Biermarke seiner Wahl. Einen Moment glaubte ich ein mildes Erschrecken auf seinem Gesicht zu erkennen. Doch dann lächelte er, seine schlechten Zähne entblößend, und erklärte: »Du siehst echt Scheiße aus, Mensch!«, und verschwand Richtung Kasse.
Meine Nerven lagen blank. Durchs Regal bemerkte ich Zoe, die mich offenbar die ganze Zeit beobachtet hatte. Sie grinste, was mich noch wütender machte. Außerdem ärgerte ich mich, dass ich diesen Unsinn überhaupt mitmachte. Warum war ich nicht zu Hause und wässerte meine Pflanzen? Andererseits hatte ich mir nun einmal vorgenommen, Leute zu erschrecken, und ich wollte mir vor Zoe keine Blöße geben. Wenn mir nicht einmal das gelang, würde ich mein Gesicht verlieren.
Ich rückte die Maske zurecht und ging mit der Flasche Weißbier zu Kasse. Hinter dem Förderband saß Frau Bartels. Sie war gerade mit Einscannen beschäftigt. Wir kannten uns von früheren Montagvormittagseinkäufen. Frau Bartels war Ende zwanzig und damit als Zielperson bestens geeignet.
Während sie einscannte, konzentrierte sie sich ausschließlich auf ihren aktuellen Kunden und sah auch nicht ein einziges Mal zu mir auf, als wollte sie von ihrem nächsten Kunden überrascht werden, um wenigstens etwas Abwechslung in ihren eintönigen Job zu bringen.
Ich wartete stumm, bis ich dran war. Erst als sie das Förderband erneut anwarf und eine einzige Flasche Weißbier an ihr vorbeiglitt, blickte sie mich an. Ich war selbst so aufgeregt, dass meine Hände zitterten.
»Heute nur das, Herr Wollmann?«, fragte sie und lächelte verschmitzt.
»Wie bitte?«, fragte ich entsetzt. Ich hatte keine Ahnung, wie sie ausgerechnet auf mich kam. Es erschien mir völlig unmöglich, von der Maske auf mich zu schließen. Mir wurde heiß. Der Schweiß tropfte unter der Maske heraus.
»Woher wissen Sie … ?«
Sie zog die Flasche unter dem Scanner durch und schubste sie in die Metallwanne.
»Ihr Hemd«, sagte sie gelassen, »nur einer trägt hier solche Hemden. Das macht dann 99 Cent.«
Ich bezahlte. Ich wagte sie nicht zu fragen, was sie mit »solche Hemden« meinte. Es war ein normales Hemd, ich hatte nicht angenommen, dass es irgendjemandem auffallen könnte. Jedenfalls hatte ich das bis zu diesem Moment geglaubt.
Draußen zog ich die Maske ab und setzte mich erschöpft auf die Bank.
»Pech gehabt«, sagte Zoe und schwang sich fröhlich zu mir auf die Bank, »du bekommst keinen Piratentaler.«
»Ist eigentlich irgendwas an meinem Hemd?«, fragte ich. Die Sache beunruhigte mich, obwohl ich nicht genau sagen konnte, warum.
Zoe blickte mich komisch an. »Wieso?«, fragte sie.
»Nur so«, sagte ich.
Sie musterte ratlos das Hemd, als wären ihr solche Äußerlichkeiten im Grunde gleichgültig.
»Ich finde es hässlich, meine Mutter trägt so was auch immer.«
»Deine Mutter? Du meinst also, dass es was für Frauen ist?«
Sie zuckte die Schultern. »Keine Ahnung, ist ja auch egal, was man trägt. Was machen wir jetzt?«
Mir war es zwar nicht egal, aber ihre Antwort beruhigte mich ein wenig.
»Jetzt erschrecken wir weiter Leute«, sagte ich siegessicher. Ich hatte nicht vor aufzugeben, bis ich meinen Piratentaler endlich bekommen hatte.
Wir gingen durch unser Viertel, vorbei an den Villen, die eine gleichgültige Ruhe ausstrahlten, als könnte ihnen niemand zu nahe kommen. Zoe hüpfte neben mir her. Ich freute mich, dass wir zusammen durch die Gegend streiften und nur etwas so Sinnloses vorhatten, wie Leute zu erschrecken. Es war aufregend, Dinge zu tun, die keinerlei Zweck erfüllten. Angesichts der wuchtigen Demonstration von Erfolg um uns herum, empfand ich es beinahe als revolutionär.
Plötzlich hatte ich eine Idee. In unserer Nachbarschaft befand sich das Anwesen von Gabriele Eichhorn, einer Immobilienmaklerin, die abbruchreife Häuser für viel Geld an gutgläubige Interessenten verkaufte. Selten waren Jutta und ich uns so einig in unserer Ablehnung dieser Frau. Denn Frau Eichhorn war nicht nur eine Geschäftsfrau mit krimineller Energie, sondern überdies auch
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