Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)
Abend, mit mehreren Tüten bepackt, zu einem nahe gelegenen Altglascontainer.
Kurz bevor ich den Container erreichte, geschah das, was ich gerne vermieden hätte. Frau Wüstner bog um die Ecke und steuerte sogleich freudestrahlend auf mich zu, als könnte sie es nicht erwarten, mich endlich wieder an ihrem Leben teilhaben zu lassen.
»Na, wieder ein Termin mit Ihrem Kaninchen?«, fragte sie belustigt. Ich spürte sofort, dass ich in ihren Augen nur der drollige Dicke mit einem seltsamen Hobby war. Der nette Herr Wollmann, dem man ohne zu zögern seinen Wohnungsschlüssel anvertraute, damit er sich im Urlaub um die Pflanzen kümmerte.
Doch der Wind hatte sich inzwischen gedreht. Nur wusste ich noch nicht, wie ich Frau Wüstner die neue Entwicklung auf möglichst schonende Weise beibringen sollte. Noch ehe ich antworten konnte – eine Antwort von mir wurde im Grunde nicht erwartet – , wechselte Frau Wüstner schon zu ihrem Lieblingsthema.
»Ist das nicht wieder ein Wetterchen? Petrus meint es diesen Sommer wirklich gut mit uns. Da kann man sagen, was man will: Ich bin mit der Erderwärmung persönlich eigentlich ganz zufrieden. So was darf man natürlich nicht offen sagen. Aber wenn Sie sich so umhören, sagen alle das Gleiche. Ich verstehe überhaupt nicht, wie man die Grünen wählen kann. Wenn es nach denen ginge, würden wir hier bei zehn Grad im Regen sitzen. Aber mal ehrlich, ist es nicht schön, wenn jeden Tag die Sonne scheint?«
Ich versuchte nicht mal, zu einer Antwort anzusetzen. Stattdessen konzentrierte ich mich darauf, die Tüten stillzuhalten, damit ihre Aufmerksamkeit nicht auf die Flaschen fiel.
»Meinem Mann ist das ja völlig egal. Seit er seine Carrera-Bahn hat, verlässt er kaum noch das Haus. Einerseits finde ich es ja gut, dass er von der Straße weg ist, aber man kann doch nicht den ganzen Tag mit Autos spielen. Er ist doch kein Kind mehr. Das kann ihm doch nicht genügen!«
Sie schüttelte ratlos den Kopf. In diesem Moment entdeckte sie die Tüten, aus denen verräterisch Flaschenhälse herausragten.
»Die haben Sie hoffentlich nicht alle selbst getrunken«, meinte sie lächelnd. »Also bei uns war schon ewig niemand mehr zu Besuch. Mein Mann will einfach keine Leute mehr sehen. Verstehen Sie das?«
Ich nickte schnell, ehe sie fortfuhr.
»Richtig asozial ist er geworden. Er gibt sich überhaupt keine Mühe mehr, nicht mal mit mir. Wir reden kaum noch miteinander. Gut, nach dreißig Ehejahren weiß ich natürlich, was er denkt, aber er könnte ja trotzdem mal irgendetwas sagen, oder? Ich verlange ja gar nicht, dass er mich jeden Tag überrascht, um Gottes willen, aber so geht es ja nun auch nicht weiter.«
Ich merkte, wie der Ärger langsam in mir hochkochte. Ihre Vorwürfe kamen mir vertraut vor. Was erwartete sie eigentlich von ihrem Mann?
»Darf ich Sie mal was Persönliches fragen?«, sagte sie und blickte mich ernst an. »Sind Sie auch so, oder ist nur mein Mann so komisch?«
Ich war mir nicht sicher, was sie mit »auch so« meinte. Da meine Schultern schmerzten, wollte ich das Gespräch rasch beenden.
»Ich trinke«, sagte ich knapp und klapperte zur Untermalung mit den Tüten.
Frau Wüstner schien mein Bekenntnis erst gar nicht begreifen zu wollen. Sie wollte nicht einsehen, dass ich nicht mehr der nette Herr Wollmann mit der Kassenbrille und dem zurückweichenden Haupthaar war. Ich war ein Mann mit einem schwerwiegenden Alkoholproblem: Ich konnte Alkohol nicht vertragen. Das Ergebnis war dennoch frappierend: Frau Wüstner schien schwer beeindruckt zu sein.
»Ich habe aber alles unter Kontrolle«, fügte ich zu ihrer Beruhigung noch hinzu.
Doch ich hatte mir umsonst Sorgen gemacht. Frau Wüstners ganze Körperhaltung hatte sich auf einmal verändert. Sie wirkte beinahe erregt.
»Essen Sie vorher auch Ölsardinen?«, flüsterte sie mir konspirativ zu.
»Wie bitte?«, fragte ich erstaunt.
Sie sah sich kurz um. »Bevor ich das erste Glas trinke, esse ich immer Ölsardinen.«
»Was?« Ich traute meinen Ohren nicht.
»Das soll den Alkohol absorbieren.«
Ich blickte mich auch um.
»Wissen Sie, wie das ist, wenn Sie Ihr Mann jahrelang ignoriert?«
Woher sollte ich wissen, wie es sich anfühlt, wenn einen der eigene Mann ignoriert? Mein Einfühlungsvermögen war inzwischen zwar selbst Frau Wüstner bekannt, aber irgendwo hatte es mit der Einfühlung dann auch seine Grenzen.
Ich stieß Luft durch die Nase und sah beleidigt in eine andere Richtung.
»Man tut alles, um
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