Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)
ihn irgendwie zufriedenzustellen. Man kocht, kümmert sich um den Haushalt und stellt zweimal die Woche frische Blumen ins Wohnzimmer. Aber er sieht es nicht mal. Ich meine, man will doch auch mal was zurückbekommen. Ein nettes Wort, eine Geste, egal was.«
Ich starrte sie an.
»Irgendwann habe ich das alles nicht mehr ertragen. Diese Leere in mir, es ging einfach nicht mehr.«
Frau Wüstner schien kurz vor einem Weinkrampf zu stehen. Es war unerträglich. Ich konnte es nicht mehr mit ansehen.
»Vielleicht ein anderes Mal«, sagte ich und klapperte geschäftig mit den Tüten.
»Wir könnten doch mal zusammen … « Sie blickte mich hoffnungsvoll an.
»Ich melde mich«, sagte ich zuversichtlich lächelnd und beeilte mich weiterzukommen.
»Mein Mann spielt jeden Tag ab zehn in seinem Keller!«, rief sie mir noch hinterher, aber da war ich schon um die nächste Ecke verschwunden.
19
Einige Tage später klingelte es gegen Mittag an der Tür. Für die Post war es eigentlich noch zu früh, und so öffnete ich etwas verärgert über die Störung die Tür. Mein Ärger verflog jedoch gleich, als ich Zoe vor der Tür stehen sah. Sie hielt Ratte im Arm und sah mich verunsichert an.
»Übermorgen habe ich Geburtstag, aber meine Mutter hat keine Zeit für mich«, erklärte sie traurig. Erst jetzt bemerkte ich, dass sie aussah wie ein normales achtjähriges Mädchen. Sie trug Jeans, T-Shirt und Turnschuhe, von ihrer zerrissenen Piratenkleidung keine Spur.
»Ja, bist du denn kein Pirat mehr?«, fragte ich.
Zoe blickte zu Boden und schüttelte langsam den Kopf, als wäre es ihr unangenehm.
»Aber du wolltest doch immer ein Pirat bleiben.«
Sie sah mich an. Ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen.
»Es ist doch bloß ein blödes Spiel. Man kann ja gar kein richtiger Pirat sein, die Leute verstehen mich nicht.«
»Und ich dachte, die Leute wären dir immer egal gewesen.«
Sie senkte erneut den Kopf.
»Du hättest es wenigstens versuchen können«, sagte ich.
»Du bist doch auch kein blöder Blumenverkäufer geworden«, fuhr sie mich plötzlich an, »warum hast du es denn nicht versucht?«
»Weil ich blöd war«, sagte ich, »und weil ich Angst hatte.«
Einen Moment sah sie mich prüfend an. Es war der vielleicht wichtigste Augenblick ihres Lebens. Hier, vor meiner Tür, schien sich zu entscheiden, ob sie Pirat oder Sachbearbeiterin werden würde. Ob sie sich für den größeren äußeren Widerstand entschied, oder den anderen nur hinterherlief. Doch ich konnte ihr nicht helfen, weil ich wusste, dass sie diese Entscheidung ganz allein treffen musste. Kein Mensch hätte ihr im wichtigsten Augenblick ihres Lebens helfen können. Es war die einzige Möglichkeit für sie, zu ihrem eigenen Leben zu finden. Zoe war noch viel zu jung, um das zu begreifen, und trotzdem würde sie in diesem Moment eine Entscheidung treffen, mit der sie die Weichen für den Rest ihres Lebens stellte.
Ich blickte ihr tief in die Augen und verfluchte meine Tatenlosigkeit.
»Dann bin ich eben auch blöd«, antwortete Zoe schließlich.
Ich lächelte. Es war vorbei.
»Was hast du eigentlich mit Ratte vor?«, fragte ich, tief durchatmend.
Zoe sah mich entschlossen an. »Die musst du nehmen, weil ich ab jetzt ja kein Pirat mehr bin.«
Sie drückte mir das Kaninchen in den Arm. Ich wehrte mich nicht dagegen.
»Und was wird jetzt aus meinem Geburtstag?«
Sie wirkte auf einmal erleichtert, als hätte sie mit der Entscheidung, nicht mehr Pirat sein zu wollen, ein neues Leben begonnen. Das aufregende Leben eines gewöhnlichen acht-, bald neunjährigen Mädchens, das plötzlich Lust hatte, den eigenen Geburtstag zu feiern. Und es sah ganz so aus, als hätte sie mir dabei die Rolle des Ausrichters zugedacht.
Das kam mir etwas ungelegen. Außerdem war ich nicht sicher, wie Jutta reagieren würde, wenn sie mich zwischen Achtjährigen Blinde Kuh spielen sah. Ich wollte mir ihre Anerkennung nicht wenige Meter vorm Ziel endgültig verscherzen.
Doch als ich Zoes hoffnungsvolles Gesicht sah, blieb mir keine andere Wahl.
»Dann feiern wir ihn eben zusammen«, erklärte ich. »Und wenn du eine Freundin hast, kannst du sie gerne mitbringen«, fügte ich leichtsinnigerweise hinzu.
Zoe grinste zufrieden. Dann drehte sie sich um und sprang fröhlich davon.
Meine Sorge wegen Jutta stellte sich zum Glück als unbegründet heraus. An diesem Tag war sie auf Dienstreise nach Karlsruhe und würde erst spätabends wieder zurückkehren. Bis dahin waren
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