Wollust - Roman
genießen könnte. Das gestrige Abendessen war laut und von Selbstdarstellern geprägt gewesen; die jungen Leute hatten in einem Affentempo schwadroniert. Manchmal hatte er sich wie ein Zuschauer bei einem Tennismatch gefühlt, als er den Kopf ununterbrochen von rechts nach links drehen musste, um der Unterhaltung zu folgen. Aber die Stimmung war großartig gewesen. Er genoss es, denn er wusste, es war nur vorübergehend. Montag würde er sein eher stilles Haus wieder ganz für sich haben.
Auf seiner Mailbox waren zwei Nachrichten eingegangen.
Nummer eins: Hallo, Loo, hier ist Wanda. Es tut mir leid, dich am Schabbes zu stören, aber es ist etwas ans Licht gekommen, was du garantiert wissen möchtest. Ruf mich an, sobald du kannst.
Nummer zwei: Hallo, Lieutenant, hier spricht Gabe Whitman. Detective Bontemps hat eine Nachricht auf Ihrem Anrufbeantworter zu Hause hinterlassen und versucht, Sie zu erreichen. Sie sagt, es sei wichtig. Rina sagt, Sie sollen direkt ins Revier fahren und sich wegen des Mittagessens keine Sorgen machen. Sie isst mit Ihnen, wann immer Sie zurückkommen. Ich wurde auserwählt, Sie anzurufen, weil ich nicht jüdisch bin. Tut gut, mal für etwas von Nutzen zu sein.
Obwohl ihn Gabes Humor zum Lachen brachte, ließ ihn der Inhalt der Nachricht innerlich seufzen. Er wendete das Auto und machte sich auf den Weg zur Arbeit.
41
Kaum betrat Decker das Revier, stand Wanda Bontemps schon mit einem Papierstapel unter dem Arm von ihrem Schreibtisch auf. Decker winkte ihr zu und goss sich noch schnell eine Tasse Kaffee aus der Gemeinschaftskanne ein. Er sperrte seine Bürotür auf und bot Wanda einen Platz an. Sie trug ein langärmeliges limettengrünes T-Shirt zu einer schwarzen Hose, und ihre langen Fingernägel waren in einem Mittelbraun lackiert, das perfekt mit ihrem Hautton harmonierte.
Decker trug noch immer seinen schwarzen Anzug und unbequeme Schuhe. Die Krawatte hatte er bereits im Auto abgenommen, und jetzt entschied er sich, auch die Anzugjacke auszuziehen und über die Rückenlehne seines Stuhls zu hängen.
»Wie war die Feier?«, fragte Wanda.
»Traurig. Kathy Blanc hat mich Crystal Larabees Mutter vorgestellt.«
»Und wie war das?«
»Traurig. Sie heißt Pandora Hurst und kommt Montag aufs Revier. Sie lebt schon seit einiger Zeit weit weg von ihrer Tochter, aber man erfährt trotzdem immer wieder Neues.« Decker lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Also, was gibt’s?«
Wanda legte den Papierstapel auf den Tisch und breitete ein farbiges Bild vor Decker aus. »Kommt dir das bekannt vor?«
Decker starrte auf einen mit Diamanten besetzten Anhänger
aus Gelbgold in Form eines R an einer goldenen Kette; er hing um den Hals eines Mädchens mit schulterlangen dunklen Haaren und braunen Augen, die leicht zur Seite blickten. Auf dem Foto war der Oberkörper des Mädchens ganz zu sehen, und sie trug einen dunklen Pulli mit U-Boot-Ausschnitt vor einem grünen Hintergrund. »Ihr Abschlussfoto der Highschool?«
»Genau.«
»Wer war sie?«
Wanda fiel auf, dass Decker bereits die Vergangenheitsform benutzte. »Roxanne Holly – eine sechsundzwanzigjährige Bankangestellte, die durch Erwürgen ermordet wurde. Ihre Mutter überließ den Detectives dieses Foto, weil darauf die Halskette deutlich zu sehen ist. Roxanne trug sie immer, aber sie war verschwunden, als man ihre Leiche fand.«
»Wie lange ist das her?«
»Über drei Jahre.«
»Wo ist der Mord passiert?«
»In Oxnard. Als das Foto auftauchte, habe ich mir den Fall näher angesehen. Sie ging aus auf einen Drink und kam nie wieder nach Hause. Ihre Leiche wurde einen Tag später von einem Obdachlosen namens Burt Barney entdeckt, einem Alkoholiker, der vor einem Jahr an Leberzirrhose gestorben ist. Er war immer der Hauptverdächtige, aber die Polizei hatte nie genug Beweise gegen ihn, um ihm das Verbrechen anzulasten. Verdächtige Personen gab es reichlich. Oxnard ist eine von der Landwirtschaft geprägte Stadt, aber sie ist ziemlich groß – ungefähr zweihunderttausend Einwohner.«
»Eine große Stadt, in der es in einigen Vierteln heiß hergeht. Jede Menge Einwanderer, jede Menge Tagelöhner.«
»Jede Menge Bauarbeiter, die wahrscheinlich gerne mal auf einen Drink ausgehen … wie unser Freund Mr. Tinsley.«
Decker sah sich das Foto genauer an. »Wie bist du an dieses Foto gekommen?«
»Ich habe staatenübergreifend alle Mordfälle durchlaufen lassen, die mit Schmuckstücken in Verbindung stehen. Der hier tauchte
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