Wollust - Roman
Gabe«, sagte Rina. »Der Lieutenant und ich haben das bereits besprochen. Einstweilen melden wir dich in Hannahs Schule an.«
»Du Ärmster«, bemitleidete ihn Hannah. »Meine Schule, und dass, obwohl du noch nicht mal jüdisch bist.«
»Fühl dich nicht unter Druck gesetzt, bei uns zu bleiben, Gabe«, sagte Decker. »Es ist deine Entscheidung. Wir bieten dir eine Unterkunft an. Denk darüber nach, und dann gib uns Bescheid, was für dich in Betracht kommt.«
»Ich fühl mich wohl hier.« Gabe nahm seine Brille ab und rieb sich seine blutrot unterlaufenen Augen. »Es gefällt mir hier. Vielen, vielen herzlichen Dank.«
Decker stand vom Tisch auf. »Bis heute Abend, allerseits, vorausgesetzt, dass sich die guten Leute in meinem Bezirk zu benehmen wissen.«
»Tschüss, Abba , ich hab dich lieb.«
»Ich dich auch, Kürbiskopf.« Er gab ihr einen Kuss auf ihren
feuerroten Haarschopf. »Fahr vorsichtig. Ach ja, vielleicht willst du ja auch noch dein Oberteil wechseln.«
»Sehr witzig.«
»Ich muss erst ein paar Dinge auf meinem Computer erledigen, bevor ich mich auf den Weg mache.« Rina gab ihrer Tochter einen Abschiedskuss. »Ich sehe euch dann später in der Schule. Fahr vorsichtig.«
»Tschüss.« Als ihre Eltern gegangen waren, widmete Hannah ihre Aufmerksamkeit dem Jungen. »Geht es dir gut?«
»Müde, aber sonst okay.«
»So ein Mist, das mit deinem Dad.«
»Um ehrlich zu sein, ist es besser so. Deinen Vater kenn ich jetzt seit zwei Tagen, und ich mag ihn um einiges mehr als meinen eigenen Dad.«
»Er ist ein guter Typ – mein Vater.«
»Hast echt Glück gehabt, mit einer normalen Mutter und einem normalen Vater und normalen Geschwistern und geregeltem Essen und den ganzen anderen normalen Dingen.«
»Ich bin glücklich. Ich liebe meine Familie. Aber wir sind nicht normal, Gabe, weil es so etwas wie eine normale Familie gar nicht gibt.«
Sie rückte ihren Stuhl näher an seinen heran, damit sie die Stimme senken konnte und ihre Mutter sie nicht hörte.
»Meine Schwester stammt aus der ersten Ehe meines Vaters, meine Brüder sind aus der ersten Ehe meiner Mutter. Meine Mutter und ihr erster Mann haben geheiratet, als meine Mutter gerade mal achtzehn war. Dann starb er an einem Gehirntumor, da waren meine Brüder noch richtig klein. Mein Vater hat sie adoptiert. Übrigens ist mein Vater auch adoptiert. Meine Großeltern väterlicherseits sind streng gläubige Baptisten, die wahrscheinlich glauben, dass ich in der Hölle schmoren werde, weil ich Jüdin bin. Aber sie lieben mich, und ich liebe sie, und Großmutter Ida backt den besten Kuchen
der Welt. Der Bruder meines Vaters, Onkel Randy, war bereits drei- oder viermal verheiratet. Die Eltern meiner Mutter sind Holocaust-Überlebende, das spukt immer irgendwo im Hintergrund. Der Bruder meiner Mutter lebt in Israel und ist ein religiöser Fanatiker. Ihr anderer Bruder ist Arzt, und er und seine Frau sind echt nett. Deren ältesten Kinder sind auch Ärzte, aber das jüngste, ein Sohn, der geht, seit er sechzehn ist, in einer Entzugsklinik ein und aus. Wenn ich tiefer bohre, finde ich wahrscheinlich noch mehr pathologische Fälle.«
Sie zuckte mit den Achseln.
»Tut mir leid, dir deine Illusionen zu nehmen, aber was unsere Familie betrifft, passt du bestens dazu.«
16
In der Hoffnung auf ein paar ruhige Minuten, um Adriannas Tagebuch von vorne bis hinten durchlesen zu können, saß Decker bereits um Viertel nach sieben an seinem Schreibtisch und war dabei, die pinkfarbenen Zettel mit Nachrichten zu verpassten Anrufen durchzusehen. Das meiste konnte warten, aber um ein paar Sachen musste er sich gleich kümmern. Da war ein Anruf vom Gerichtsmediziner in Sachen Adrianna Blanc, zwei Anrufe von Kathy Blanc, die nachfragte, wann der Leichnam freigegeben würde, zwei Anrufe von Melissa McLaughlin, Terrys Halbschwester, und einer aus dem West-L. A.-Revier, der Terry McLaughlin betraf.
Dort rief er zuerst an, bei Detective Eliza Slaughter im Vermisstendezernat, die den Fall betreute. Er hatte Glück, sie um diese Uhrzeit schon bei der Arbeit vorzufinden.
»Keine Leiche, kein Auto, nichts«, berichtete sie. »Wie kann ich ihren Ehemann erreichen? Ich würde liebend gerne mit ihm reden, aber die Nummer, die mir vorliegt, funktioniert nicht.«
»Haben Sie ein paar Minuten Zeit?«, fragte Decker. »Ich muss Sie in Höchstgeschwindigkeit auf den neuesten Stand bringen und Ihnen eine Vorstellung davon vermitteln, was Sie da bearbeiten und mit wem Sie es zu
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