Women of the Otherworld 02: Rückkehr der Wölfin
akzeptierte ich, dass ich Paige nicht erreichen konnte. Also wartete ich, dass sie sich bei mir meldete. Und wartete. Und wartete. Das Frühstück kam. Ich ignorierte es. Das Frühstück ging.
Um halb zehn versuchte Paige mit mir Kontakt aufzunehmen.
Oder jedenfalls nahm ich an, dass sie es probierte. Es begann mit Kopfschmerzen wie am Tag zuvor. Beim ersten leichten Stechen hüpfte ich aufs Bett, streckte mich aus, schloss die Augen und wartete. Nichts geschah. Die Kopfschmerzen ließen nach, verschwanden und kehrten eine halbe Stunde später zurück. Ich lag immer noch auf dem Bett und fürchtete mich davor, auch nur die Stellung zu wechseln, um Paiges Mitteilung nicht zu blockieren. Auch diesmal passierte nichts. Ich entspannte mich. Ich stellte mir vor, wie ich mich öffnete, dachte daran, mit Paige zu reden, rief mir jede Metapher für Kommunikation ins Gedächtnis, die mir einfiel. Nicht das leiseste Flüstern belohnte die Mühe.
Was, wenn Paige nicht zu mir durchkam? Was, wenn sie nicht stark genug war, wenn es ihr beim letzten Mal nur durch Zufall gelungen war? Was, wenn ich es verkorkst hatte, als ich versehentlich die Verbindung abgebrochen hatte? Was, wenn irgendein Teil meiner Psyche sich gegen eine Wiederaufnahme dieser Verbindung wehrte, aus Angst vor einer weiteren Zurückweisung? Was, wenn der Schaden dauerhaft war? Was, wenn ich auf mich allein gestellt war … endgültig?
Nein, das war unmöglich. Paige würde sich zurückmelden. Sie würde eine Möglichkeit finden, ich würde mit Jeremy reden, und alles würde in Ordnung sein. Dies war nur ein vorübergehender Zustand. Vielleicht hatte sie ja auch gar nicht versucht, mit mir Kontakt aufzunehmen. Vielleicht hatte ich einfach nur Kopfschmerzen, was unter den gegebenen Umständen vollkommen verständlich wäre.
Paige würde wiederkommen, aber ich konnte nicht einfach herumsitzen und warten. Aktivität war das einzige wirklich wirksame Mittel gegen die Panik. Ich hatte einen Plan. Sicher, mit Jeremys Rat wäre es leichter, aber anfangen konnte ich auch allein. Ich brauchte nichts weiter zu tun, als mir meine eigene Metamorphose ins Gedächtnis zu rufen, indem ich die tiefsten und am sorgsamsten verdrängten Abgründe meiner Psyche auslotete und Erinnerungen an die Hölle ans Tageslicht holte. Ein Kinderspiel also.
Zwei Stunden später riss ich mich schweißgebadet von meinen Erinnerungen los. Die nächsten zwanzig Minuten saß ich auf der Bettkante und versuchte die Fassung zurückzugewinnen. Dann ging ich duschen. Danach war ich so weit.
Beim Mittagessen sagte ich den Wachleuten, ich wollte mit Carmichael reden. Sie reagierten nicht. Sie redeten nie mehr mit mir als absolut nötig. Eine halbe Stunde später, als ich schon fürchtete, sie hätten meine Nachricht ignoriert, kamen sie mit Matasumi zurück. Damit wurde mein Plan komplizierter. Matasumi machte zwar den Eindruck, Bauer helfen zu wollen. Er war aber nicht willens, dies zu tun, wenn er mich dazu aus meinem Käfig lassen musste. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten die Gefangenen wahrscheinlich vom Moment ihrer Gefangennahme bis zu dem Moment, in dem jemand kam, um ihre Kadaver zu entsorgen, keinen Fuß aus ihren Zellen gesetzt.
Irgendwann konnte ich Matasumi dazu überreden, mich nach oben zu bringen – vorausgesetzt, ich trug Handschellen und Fußeisen und wurde von einem Trupp von Wachleuten begleitet, die sicherstellten, dass ich nicht näher als bis auf drei Meter an Matasumi herankam. Als wir die Krankenstation erreichten, verschwand Matasumi, um Carmichael zu suchen. Drei Wachleute eskortierten mich ins Innere, während die übrigen den Ausgang durchs Wartezimmer versperrten.
Bauer lag auf dem ersten Bett. Neben ihr saß Tess, las ein Taschenbuch und schnippte an einem Fingernagel herum. Als sie mich bemerkte, fuhr sie erschrocken hoch; dann sah sie die Wachleute und verlegte sich darauf, ihren Stuhl ein paar Zentimeter nach hinten zu schieben, bevor sie weiterlas.
So wie sie da auf dem Krankenhausbett lag, sah Bauer noch aristokratischer und gesammelter aus, als sie es zuvor getan hatte. Ihr dunkelblondes Haar war auf dem makellos weißen Kissen ausgebreitet. Die feinen Linien um Augen und Mund waren verschwunden, und das Gesicht war so glatt, als sei sie halb so alt, wie sie tatsächlich war. Ihre Augen waren geschlossen; die Wimpern lagen auf der makellosen weißen Haut. Die vollen Lippen waren zu einem schwachen Lächeln verzogen. Vollkommen still, gefasst und von
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