Women of the Otherworld 02: Rückkehr der Wölfin
mir, dass ich nicht mehr sehen konnte, ob es ein Elch, ein Hirsch oder ein Mensch war. Zeit zum Denken blieb mir nicht mehr. Ich reagierte, riss das Lenkrad herum und trat auf die Bremse. Beides zu heftig. Am Straßenrand sah ich ein Gesicht vorbeischießen. Dann schleuderte der Explorer nach links, und eine Sekunde lang glaubte ich, er würde umkippen. Er tat es nicht. Stattdessen krachte er in den Graben auf der anderen Straßenseite. Der Airbag schoss heraus und erwischte mich im Gesicht wie ein Sandsack. Bevor ich zu Atem kommen konnte, wurde die Tür auf der Fahrerseite aufgerissen.
»Alles in Ordnung?«, fragte eine Frauenstimme. Sie zerrte den Airbag von meinem Gesicht und runzelte die Stirn. »Alles in Ordnung mit Ihnen? Dieser Mann ist Ihnen direkt vor den Kühler gerannt. Ich hab’s nicht glauben können.«
Ich brachte ein Kopfschütteln zustande; ich fühlte mich groggy und benebelt. »Ein Mann? Hab ich ihn erwischt?«
»Nein. Obwohl’s ihm recht geschehen wäre.« Die Frau schüttelte den Kopf. »Ich nehme an, das sollte ich nicht sagen. Kommen Sie erst mal raus da.«
Als sie mir aus dem Auto half, konnte ich sie besser ins Auge fassen. Mitte bis Ende vierzig. Dunkelblondes Haar, glatt und kinnlang. Leinenkleid und eine schlichte goldene Kette. Das Gesicht besorgt.
»Setzen Sie sich bei mir auf die Rückbank«, sagte sie. »Ich hab einen Krankenwagen gerufen.«
Ich zögerte; etwas unsicher war ich schon auf den Füßen. »Meine Freunde müssten gleich da sein.«
»Gut.« Sie führte mich zu ihrem Auto, einem schnittigen schwarzen Mercedes, öffnete die hintere Tür und half mir ins Innere. »Dann warten wir einfach auf sie. Wie fühlen Sie sich?«
»Als ob mich jemand in der ersten Runde k.o. geschlagen hätte.« Sie lachte. »Ich kann nicht behaupten, dass ich das Gefühl kenne, aber ich kann’s mir vorstellen. Sie sind blass, aber etwas Farbe kriegen Sie schon wieder. Und der Puls ist okay.«
Ich spürte ihre Finger an meinem Handgelenk. Dann spürte ich dort noch etwas anderes. Ein Pieksen. Einen Schwall eisiger Kälte. Als ich die Hand fortriss, öffnete sich die Fahrertür. Ein Mann stieg ein. Er drehte sich um und grinste mich an.
»Du konntest den nächsten Boxkampf einfach nicht abwarten, was?«
Das Gesicht löste etwas in meiner Erinnerung aus, aber in meinen Gedanken begann alles zu verschwimmen und ich konnte ihn nicht einordnen. Dann, als meine Muskeln schlaff wurden, fiel es mir ein.
Der Halbdämon aus Pittsburgh. Houdini.
Mein Kopf schlug auf dem Sitzpolster auf. Alles wurde schwarz.
Gefängnis
Ich kämpfte stundenlang darum, das Bewusstsein wiederzugewinnen. Wachte weit genug auf, um zu wissen, dass etwas nicht stimmte, aber mehr schaffte ich nicht – wie ein Taucher, der die Wasseroberfläche über sich sehen, sie aber nicht erreichen kann. Jedes Mal, wenn ich mich hinaufzustoßen versuchte, zog mich das Betäubungsmittel wie eine Strömung wieder nach unten. Einmal nahm ich das Rumpeln eines Lieferwagens wahr. Dann hörte ich Stimmen. Beim dritten umnebelten Aufwachen war alles still.
In der vierten Runde brachte ich es fertig, die Augen zu öffnen und sie offen zu halten – ich war mir sicher, wenn ich sie wieder schloss, wäre ich verloren. Mindestens eine Stunde lang lag ich dort und kämpfte den Drang zu schlafen nieder, hatte aber nicht die Kraft, mehr zu tun als eine beigefarbene Wand anzustarren. War es beige? Oder taupe? Vielleicht war sie auch sandfarben. Entschieden Latex. Eierschalenfarbenes Latex. Beängstigend, was ich alles über Farben wusste. Noch beängstigender, dass ich hier lag, gelähmt bis auf die Augenlider und damit beschäftigt, herauszufinden, in welcher Farbe meine Gefängniswärter mein Gefängnis gestrichen hatten. Jeremy war schuld an meinem enzyklopädischen Wissen um Farben. Das Renovieren war bei ihm eine Obsession. Und ich meine Obsession. Er hatte seine Gründe dafür; sie gingen aber nur ihn selbst etwas an. Wenn es seine persönlichen Dämonen beschwichtigte, alle zwei Jahre das Esszimmer neu zu tapezieren, dann hielt ich den Mund und tapezierte.
Und was die Frage anging, weshalb ich in einem so grotesk unpassenden Moment über Farbe nachdachte – ja nun, es gab nicht viel anderes hier, über das ich nachdenken konnte, oder? Ich konnte mir Sorgen machen und mir das Hirn zermartern und mich selbst zur Panik treiben über der Frage, wo ich mich befand und was diese Leute mit mir vorhatten, aber es würde nichts ändern. Ich
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