Women of the Otherworld 04: Pakt der Hexen
sagt, kein Mensch hat ihn jemals so genannt. Er war immer Mike, außer als kleiner Junge, da haben manche Leute ihn Mikey g e nannt.«
Eine ältere Frau heulte plötzlich auf und beugte sich vor, als drückte die Last des Kummers sie nieder. »Mikey. Das ist mein Mikey. Mein kleiner Junge. Ich hab ihn i m mer so genannt.«
Ich riss den Blick von ihr los, während meine Augen sich mit wütenden Tränen füllten. Jaime stieß auf sie herab wie ein Hai, der Blut gewittert hat.
»Ist es mein Mikey?«, fragte die alte Frau; die Worte waren durch die Tränen hindurch kaum zu verstehen.
»Ich glaube ja«, antwortete Jaime leise. »Warten Sie … ja. Er sagt, er ist Ihr Sohn. Er bittet Sie, nicht mehr zu weinen. Er ist an einem schönen Ort, und es geht ihm gut. Er möchte, dass Sie das wissen.«
Die Frau versuchte, sich die strömenden Tränen abz u wischen und zu lächeln.
»Sehen Sie«, sagte Jaime. »Jetzt soll ich das Foto erwä h nen. Er sagt, Sie haben ein Foto von ihm aufgestellt. Stimmt das?«
»Ich – ich habe mehrere«, sagte sie.
»Ah, aber er redet von einem ganz bestimmten. Er sagt, es ist das Bild, das er noch nie hat leiden können. Wissen Sie, wovon er redet?«
Die alte Frau lächelte und nickte.
»Er lacht«, sagte Jaime. »Er sagt, ich soll Ihnen die Hö l le heißmachen, weil Sie dieses Ding herumstehen haben. Er sagt, Sie sollen es doch wegnehmen und das andere aufstellen, das von ihm bei der Hochzeit. Ergibt das i r gendeinen Sinn?«
»Wahrscheinlich meint er die Hochzeit seiner Nichte«, sagte die Frau. »Sie hat geheiratet, kurz bevor er gestorben ist.«
Jaime sah in die Ferne. Ihr Blick wurde leer, ihr Kopf nei g te sich etwas zur Seite, als höre sie etwas, das niemand sonst hören konnte. Dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, es ist ein anderes Hochzeitsfoto. Ein älteres. Er sagt, wenn Sie das Album durchsehen, finden Sie es. Aber wenn wir gerade von Hochzeiten sprechen –«
Und so ging es weiter, von einem Zuhörer zum näch s ten. Jaime arbeitete sich durch die Menge, verteilte »pe r sönliche« Informationen, die auf fast jedes Leben hätten zutreffen können welche Eltern stellen keine Bilder von ihren Kindern auf? Wer erinnert sich nicht an ein Bild, das er gehasst hat? Wer hat keine Hochzeitsfotos in seinen Alben?
Selbst wenn sie sich irrte, war sie klug genug, die Ve r wirrung auf den Gesichtern zu bemerken, bevor ihr G e genüber antworten konnte. Dann nahm sie die Worte zurück, um sich zu »verbessern«. Bei den seltenen Gel e genheiten, bei denen sie vollkommen danebenlag, teilte sie ihrem Gesprächspartner mit, er solle nach Hause gehen und sich die Sache noch einmal durch den Kopf gehen lassen – als sei es das Gedäch t nis der anderen Leute, mit dem etwas nicht stimmte.
Diese Jaime mochte eine echte Nekromantin sein, aber sie setzte ihre Fähigkeiten nicht ein. Wie ich einmal zu Savannah gesagt hatte, niemand kann die Toten einfach so anrufen, nicht einmal ein Nekro. Was Jaime Vegas hier trieb, war ein psychologischer Schwindel, nicht viel anders als bei den Hellseherinnen, die jungen Mädchen von Hochzeitsglocken erzählen. Nachdem ich selbst im ve r gangenen Jahr meine Mutter verloren hatte, wusste ich, was all diese Leute hierhe r getrieben hatte. Ich kannte die klaffende Lücke, die sie zu füllen versuchten. Aber eine Nekromantin, die von diesem Kummer profitierte, indem sie Nachrichten aus dem Jenseits erfand … sagen wir ei n fach, Jaime Vegas kam mir nicht vor wie jemand, mit dem ich zu tun haben wollte.
In der Garderobe roch es wie in einem Bestattungsinst i tut. Nur angemessen, nehme ich an. Ich sah mich nach Stühlen um und entdeckte einen unter einem Bukett aus zwei Dutzend schwarzer Rosen. Ich hatte gar nicht g e wusst, dass es Rosen auch in Schwarz gab.
J. D. hatte mich hierhergeführt, bevor er von seiner A s sistentin davongezerrt wurde. Sie hatte etwas von einem Mann gemurmelt, der sich weigerte, seinen Platz zu verla s sen, bevor Jaime nicht seine tote Mutter heraufbeschwor.
Nachdem ich die Rosen vom Stuhl geräumt hatte, ve r suchte ich noch einmal, Lucas anzurufen. Immer noch keine An t wort. Ich hatte den Verdacht, dass er mir aus dem Weg ging. Verdammte Anruferidentifikation. Dann öffnete sich die Tür, und Jaime kam herein.
»Paige, stimmt’s?«, fragte sie zwischen hastigen Ate m zügen. Die Brille war verschwunden, und die herausg e zupften Haarsträhnchen, die auf der Bühne so kunstvoll gewirkt hatten, klebten ihr jetzt
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