Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)
Steuerfreibetrag bar auszahlen!« Man müsste die Mindestkonsumbedürfnisse, die ein Bürger hat, definieren, daraus den Steueranteil ermitteln und diesen Betrag bar ausbezahlen. Genau, nicken die Experten, das wäre der Weg. Das nennt sich in der Wissenschaft »Negative Einkommensteuer« und beschreibt ein Modell staatlicher Transferleistungen, durch die das Existenzminimum eines jeden Bürgers gedeckt wird. Die Forderung sei nicht neu, die gäbe es schon lange. Manche würden das auch »Grundeinkommen« nennen.
So ist aus meinem Nachdenken über Geld und Steuern in mir eine Idee davon erwachsen, dass es nicht reicht, nur das Steuersystem zu reformieren, sondern dass man notwendigerweise auch dafür sorgen muss, dass das Steuersystem in unseren gesellschaftlichen Kontext passt. So entdeckte ich über den Steuerfreibetrag das Grundeinkommen, denn nur per Grundeinkommen kann man sicherstellen, dass der Mensch in jedem Fall mindestens so viel konsumieren kann, wie er braucht, um in Würde leben zu können.
Je länger ich darüber nachdachte, desto faszinierender fand ich die Idee. Sie hatte mich mal wieder gepackt: die Evidenz einer Idee!
Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern dass er nicht tun muss, was er nicht soll.
Jean-Jacques Rousseau
K APITEL 15 Grundeinkommen
oder wie man einen langen Winterabend interessant macht und herausfindet, welches Menschenbild die Freunde wirklich haben
Probieren Sie es ruhig mal aus: Wenn Sie an einem langen Winterabend nach einem Gesprächsthema suchen, dann befragen Sie Ihre Freunde nach deren Meinung zum Grundeinkommen! Stellen Sie einfach die Frage: »Was haltet Ihr eigentlich davon, wenn jeder Mensch einfach so und bedingungslos tausend Euro im Monat bekäme?« Der Abend ist gelaufen. Da brauchen Sie keinen Kamin. Die Leute reden sich die Köpfe heiß. Aber Vorsicht: Eventuell werden Sie feststellen, dass selbst gute Freunde ein überraschendes Menschenbild offenbaren.
Denn es kommen immer dieselben Einwände. Der erste ist pragmatischer Natur und heißt: »Das können wir uns nicht leisten: 80 Millionen Deutsche mal tausend Euro – so viel Geld hat der Staat nicht mal pro Jahr!« Dazu gibt es zunächst eines zu sagen: Wer will, findet Wege; wer nicht will, findet Gründe.
Geld ist eine Ausrede. Denn von Geld kann man nicht leben. Man kann nur von Gütern leben. Wir müssen uns nicht fragen, ob wir genügend Geld haben, sondern ob wir genügend Güter haben. Die Güter sind aber schon alle da. Bei dm zum Beispiel haben wir so viel davon, dass wir sie verkaufen müssen. Sie können kommen, wann Sie wollen. Und wenn Sie eine Tube Zahnpasta aus dem Regal nehmen, dann garantiere ich Ihnen, zwei Tage später ist wieder eine drin.
Mit dem Geld haben wir nur die Anwartschaft, Güter zu erwerben. Die DDR-Bürger haben das erlebt: Sie hatten einen vollen Geldbeutel, aber die Regale waren leer. Dann haben sie gemerkt, dass Geld nichts wert ist.
Übrigens: Selbst Geld haben wir viel mehr, als wir brauchen. Das kann man ja beliebig nachdrucken. Die Banken liegen voll. Das brauchen wir gar nicht. Alles, was produziert werden kann, ist auch finanzierbar. Vorausgesetzt, wir haben den ehrlichen Willen dazu.
Wenn wir wollten, könnten wir sehr leicht ein Grundeinkommen auszahlen, weil wir es rein mathematisch betrachtet schon tun. Nämlich über den Steuerfreibetrag. So billigt der Staat nämlich schon heute jedem Bürger knapp 700 Euro zu, die er aber nicht auszahlt, sondern verrechnet, weswegen man das Grundeinkommen eben nur denen auszahlen muss, die kein anderes Einkommen haben. Nicht anders als heute Hartz IV oder ähnliche Grundsicherungsbeiträge. Aber derlei zu berechnen, dafür gibt es Experten. Es ist eine Frage der gesellschaftlichen Verteilung.
Ich und die anderen – unser gespaltenes Menschenbild
Deswegen kann man dieses Totschlagargument getrost beiseiteschieben und sich den wesentlichen Fragen zuwenden. Fragen Sie Ihre Freunde: »Nehmen wir an, ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre finanzierbar. Wie fändet ihr das dann?«
Jetzt kommt meist das erste Menschenbild-Argument : »Dann würde ja keiner mehr arbeiten gehen!« Ich nenne das deswegen Menschenbild-Argument, weil die meisten Menschen, die dieses Argument vortragen, auf die naheliegende Gegenfrage – »Würdest du nicht mehr arbeiten gehen?« – unisono antworten: »Doch, ich selbst würde natürlich noch arbeiten gehen!«
Das ist genau dieses gespaltene
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