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Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)

Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)

Titel: Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Götz W. Werner
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konnte die Neuzeit beginnen. Die Lösung der sozialen Frage setzt voraus, dass die Menschen anerkennen, dass sie immer (!) auf die Leistungen von anderen angewiesen sind.
    Die soziale Komponente der Steuern
    Als kurz nach dem Kongress die Mauer fiel, waren alle Beteiligten von der Idee begeistert, man könne in Osteuropa klügere Steuersysteme implementieren. Man hoffte quasi, dass die Osteuropäer die Fehler auslassen würden, die man im Westen gemacht hatte, weil unser Steuersystem ja zu Verarmung der öffentlichen Haushalte führt. Gerade in jungen Gesellschaften dürfen die öffentlichen Haushalte nicht verarmen. Die müssen schließlich investieren und Infrastruktur – Telefon, Kanalisation, Wasserversorgung usw. – schaffen.
    Der Professor für Finanzwissenschaft Hans-Georg Petersen beispielsweise, der auch Mitarbeiter des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin gewesen war, arbeitete als Gutachter und Berater in Polen, Bulgarien, Bosnien und Herzegowina und vielen anderen Ländern. Der Professor für Finanzwissenschaft Manfred Rose war als Leiter einer Gruppe deutscher Steuerexperten an der Implementierung des neuen kroatischen Systems einer marktorientierten Einkommens- und Gewinnbesteuerung beteiligt und hat auch in zahlreichen anderen Ländern sein Modell der Einfachsteuer vorgestellt.
    Leider waren diese Experten nicht die einzigen. Es kamen auch die ganzen »Chicago-Boys« und predigten Steuergesetze, denen ein anderes Menschenbild zugrunde lag. Aber immerhin gab es eine gewisse Aufgeschlossenheit gegenüber den Überlegungen unserer Konsumsteuerinitiative und auch einige Länder, die mehr darauf gesetzt haben.
    Bei einer dieser Reisen, auf denen wir am Rande immer diese oder jene Frage diskutiert haben, saßen wir auf dem Flughafen Budapest. Der Abflug verzögerte sich aus irgendwelchen Gründen um zwei Stunden, und so hatten wir genügend Gelegenheit, gemeinsam nachzudenken. Die Experten warfen die verschiedenen Vor- und Nachteile dieses und jenes Steuerungsinstrumentes hin und her. Da kam mir ein Gedanke. Schließlich hatte ich als Unternehmer die Erfahrung gemacht, dass man die Dinge möglichst einfach und schnell erklärbar gestalten müsse. Das Steuersystem war mir ohnehin viel zu kompliziert. Deswegen schlug ich eine radikal einfache Lösung vor:
    »Das Beste wäre doch, man würde ausschließlich auf die Mehrwertsteuer setzen und alle anderen Steuern abschaffen!« Dann müsste sich niemand mehr um diesen ganzen bürokratischen Kram kümmern, und der Einzelhandel macht das Inkasso – also kassiert die Mehrwertsteuer treuhändlerisch und gibt sie an den Staat ab. Genauso wie es jetzt bei der Mehrwertsteuer ja schon sei.
    Tja, nickten da die anderen. Das wäre verlockend einfach. Aber dann kam das Gegenargument: »Wo ist denn die soziale Komponente, dass die Grundbedürfnisse steuerfrei gestellt werden?«
    In unserem jetzigen Steuersystem besteht die soziale Komponente in der Progression. Wer mehr Einkommen hat, zahlt mehr Steuern. Wer weniger hat, weniger. Das Wichtigste ist allerdings der Steuerfreibetrag, also die Höhe des Einkommens, bis zu dem man gar keine Steuern bezahlen muss. Die wurde 2013 zuletzt erhöht und liegt ab 2014 bei 8354 Euro pro Jahr, also knapp 700 Euro im Monat.
    Wenn man nicht mehr als diese knapp 700 Euro im Monat verdient, dann muss man gar keine Steuern bezahlen (selbstverständlich bis auf die Steuern, die in den Produkten »versteckt« sind). Wer mehr als dieses Geld verdient, muss nur für das, was oberhalb des Mindestbetrages liegt, Einkommenssteuern bezahlen – deswegen heißt das Ding »Steuerfreibetrag«.
    Aber wenn man nun einen Moment darüber nachdenkt, – und diesen »Moment« hatte ich ja damals auf dem Flughafen in Budapest –, dann kommt man auf einen faszinierenden Gedankengang: Wenn man alle Steuern bis auf die Konsumsteuer abschafft und alle erst in dem Moment Steuern zahlen, wenn sie konsumieren, dann zahlt der Reiche mehr Steuern als der Arme, weil er mit großer Wahrscheinlichkeit mehr konsumiert. Aber was ist mit den Menschen, die nur sehr geringes Einkommen haben? Wie sichert man, dass die Menschen in jedem Fall genug zum Leben haben, ohne dass die Gemeinschaft davon etwas wegnimmt? Und zwar in einer Höhe, die vergleichbar mit dem jetzigen Steuerfreibetrag ist, auch wenn die Menschen keine Einkommensteuer mehr bezahlen?
    Plötzlich fiel der Groschen: »Na, dann müsste man den

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