Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)
Grundeinkommen gezahlt, damit er überleben kann. Und Psychologen weisen darauf hin, dass es ganz typisch sei, dass die frühen Arbeiter sich beschweren. Dabei handele es sich nämlich um ein gruppendynamisches Phänomen: Es sei dabei nicht so wichtig, was man – absolut betrachtet – wirklich brauche und wie viel man bekommt, solange man mehr als die anderen bekommt.
Ist das vielleicht der Kern der Widerstände gegen das Grundeinkommen? Alle Menschen sind gleich, nur ich bin gleicher?
Grundeinkommen – vom Sollen zum Wollen
Manchmal taucht in den Diskussionen über das Grundeinkommen die Frage auf, was ich denn täte, wenn ich jemanden beobachten würde, der bei dm etwas klaut. »Was glauben Sie denn? Dem würde ich gehörig auf die Schulter klopfen und im Zweifel die Polizei rufen.« Bei dieser Antwort frohlocken die Skeptiker und rufen: »Sehen Sie, wie weit Sie mit Ihrem positiven Menschenbild kommen?«
Dann nicke ich freundlich und erkläre, dass die paar Diebe, die es auf der Welt gibt, nicht gleich mein Menschenbild zerstören. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Natürlich habe ich ein positives Menschenbild, sonst könnte ich gar kein Unternehmer sein: Wir haben bei dm jeden Tag 1,5 Millionen Kunden. Man stelle sich vor, was passierte, wenn ich die Vorstellung hätte, das wären alles potenzielle Diebe. Da würde ich doch verrückt werden oder alle Läden sofort schließen! Bei dm haben wir 46 000 Mitarbeiter. Wenn ich nun dächte, die wären alle faul und träge! Da würde ich doch genauso verrückt werden. Dann müsste ich jeden Morgen anrufen und fragen: Seid Ihr auch wirklich alle da?
Ich habe auch ein positives Weltbild. Aber deswegen bin ich noch lange nicht weltfremd. Denken Sie an den Prolog aus dem Faust, als Gott zu Mephisto sagt: »Steh beschämt, wenn du bekennen musst: Ein guter Mensch in seinem dunklen Drange ist sich des rechten Weges wohl bewusst.« Auch der Dieb weiß, dass er klaut, sonst würde er das nicht heimlich tun. Auch der Mitarbeiter, der sich morgens krank meldet, ohne es zu sein, weiß, dass er gerade seine Kollegen täuscht. Der Mensch ist sich des rechten Weges wohl bewusst. Wenn Sie diese innere Evidenz nicht mehr haben, dann wird es schrecklich. Höllisch wird es dann!
Mit Grundeinkommen würde sich unsere Gesellschaft von einem Sollen in ein Wollen verwandeln. Es würde immer noch Menschen geben, die saufen, Menschen, die ihr Geld beim Glücksspiel verjubeln. Aber jeden Monat kommt wieder das Grundeinkommen. Das können sie gar nicht verhindern. Jeden Monat haben sie eine neue Chance, auf den rechten Weg zurückzufinden.
Leben ist Arbeit am eigenen Ich
Manchmal finden sich in den Diskussionen Einzelne, die sagen: »Ehrlich gesagt, wenn es ein Grundeinkommen gäbe, würde ich gleich morgen nicht mehr zur Arbeit gehen!«
Das ist dann eine interessante Situation. Denn es stellt sich die Frage, warum derjenige morgen nicht mehr zur Arbeit geht. Hört der Mensch auf zu arbeiten, wenn er Einkommen hat? Hört der Lottogewinner auf? Hört der Millionenerbe auf?
Meine Lebenserfahrung sagt mir, der Mensch arbeitet, um über sich hinauszuwachsen. Es wird unglaublich viel unbezahlte Arbeit geleistet. All die Mütter, die sich um ihre Kinder kümmern (und die etwas kleinere Zahl von Vätern). All die Töchter und Söhne, die ihre Eltern pflegen. All die Nachbarn, die einander helfen. Auch viele Arbeitslose haben einen Job, der bloß nicht als Job anerkannt wird. Die trainieren zum Beispiel Jugendmannschaften. Für sie ist es dann eine Katastrophe, wenn sie von der Arbeitsagentur zu irgendeiner, womöglich sinnlosen Arbeit gezwungen werden.
Ich habe noch nie einen Menschen getroffen, der mit dem zufrieden ist, was er hat. Wenn ein Tier gesoffen und gefressen hat, ist es zufrieden. Der Mensch ist prinzipiell nie zufrieden. Er hat immer die Tendenz zu sagen: Das kannst du besser machen. Wer tausend Euro hat, will gern zweitausend haben. Wenn Sie als Giraffe geboren werden, sterben Sie garantiert als Giraffe. Als Mensch verändern Sie sich. Und wenn wir dem Menschen keine Gelegenheit geben, sich zu entwickeln, dann stumpft er ab oder wird krank. Wenn eine Säge nicht benutzt wird, rostet das Blatt.
Man muss nicht Erich Fromm gelesen haben, um zu wissen, dass die Menschen im Unterschied zu den Tieren die Bedingungen, unter denen sie leben, nicht als gegeben hinnehmen müssen. Wir haben die Vernunft und die Fähigkeit, unsere Umwelt zu erkennen und gemäß unseren
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