Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)
bekomme ich? Und wie kann ich daraus etwas machen, das dem Nächsten in der Kette zum Kunden weiterhilft? Auf diese Weise – in der horizontalen statt vertikalen Perspektive – bekommt der Mitarbeiter ein Kundenbewusstsein. Sein Maßstab ist nicht mehr der Chef, sondern der Kunde: Wie gelingt es mir, das Bedürfnis meines Kunden wahrzunehmen und eine überraschende Antwort darauf zu finden?
Oft sind die Unternehmen so groß geworden, dass der einzelne Mitarbeiter gar keinen Kontakt mehr zum Kunden hat. Denkt er. Aber das stimmt nicht. Denn auch der Kollege ist immer entweder ein Kunde oder ein Lieferant. Wir leben in einer arbeitsteiligen Welt. Wirtschaft heißt füreinander tätig sein. Es gibt immer jemanden, für den ich meine Arbeit tue. Und den muss ich im Blick haben. Es gilt das Motto: »Mein Kollege, mein bester Kunde – meine Kollegin, meine beste Lieferantin.«
In dem Moment aber, in dem man den Mitarbeiter vom Kunden ablenkt, schaut er nach oben zum Vorgesetzten: Das ist der, der mir den Bonus gibt. Das ist der, der dem Beförderungsantrag zustimmt. Das ist der, der mich für eine Beförderung empfiehlt. Das ist der, der mich weiterbringt.
Ein solches Unternehmen scheitert auf die Dauer. Ich bin der festen Überzeugung, dass jede Führung schief geht, die auf Anreizsysteme setzt. Der Schweizer Wirtschaftswissenschaftler Bruno S. Frey hat mit seiner Forschung den ehernen Aberglauben widerlegt, dass Menschen mehr und besser arbeiten, je mehr Geld sie dafür bekommen. Frey fand heraus, dass im Gegenteil monetäre Anreize einen kontraproduktiven Effekt ausüben, wenn dadurch die intrinsische Motivation zur Arbeit verdrängt wird. So haben sich beispielsweise die Managerbezüge der S&P-500-Unternehmen im Verhältnis zum Durchschnittseinkommen der Mitarbeiter in den letzten 40 Jahren enorm gesteigert: Verdiente ein Manager 1970 noch etwa 40-mal so viel wie sein durchschnittlicher Angestellter, so betrug sein Einkommen im Jahr 2010 das 325-fache. Die Unternehmens-»Performance« habe sich in derselben Zeit unwesentlich verändert.
Frey kritisiert Bonuszahlungen aus zweierlei Gründen: Zum einen sei es in einer Wirtschaftswelt, die sich dermaßen schnell verändert wie unsere, kaum möglich, die Determinanten, die zum Erfolg führen, präzise zu benennen – erst recht nicht in die Zukunft gerichtet. Niemand kann mit Sicherheit vorhersagen, welche Maßnahmen morgen wirtschaftlichen Erfolg bescheren. In den Bonusverträgen wird aber genau das vorausgesetzt.
Zum anderen sind die meisten Menschen in der Regel nicht mit den – von oftmals ahnungslosen Vorgesetzten definierten – Kriterien für Bonuszahlungen einverstanden. Sie investieren deswegen – und das ist in unserem Zusammenhang wesentlich – eine Menge Zeit und Energie, um die Kriterien zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Oder sie konzentrieren sich derart auf die belohnten Aspekte ihrer Arbeit, dass sie andere, durchaus auch wichtige Aspekte vernachlässigen. Oder noch schlimmer, sie arbeiten nur noch das ab, was im Bonusvertrag vereinbart wurde, sind aber nicht mehr offen dafür, kreative Lösungen für die gestellten Aufgaben zu suchen.
Im Klartext: Bonuszahlungen verhindern Leistung, weil sie den Blick auf die eigentliche Aufgabe vernebeln. Arbeiten Menschen entfremdet vor sich hin und verstehen nicht, wozu sie welchen Beitrag leisten, dann fehlt ihnen die Kraft und Motivation, sich anzustrengen. Wer bei der Arbeit nur auf den Gehaltsscheck am Ende des Monats schielt oder allein auf die Bonuszahlung spekuliert, der wird seine Arbeit nicht gut machen, sondern so schnell wie möglich und gerade gut genug, dass die Scheckübergabe nicht platzt.
Unzählige psychologische Untersuchungen und Tests haben hingegen bewiesen: Menschen, die wissen, warum und wozu ihre Arbeit gebraucht wird, sind zu echter Leistung bereit und in der Lage. Je mehr sie vom Sinn ihrer Arbeit überzeugt sind, desto mehr engagieren sie sich. So kommt es manchmal zu erstaunlichen Höchstleistungen, bei denen Mitarbeiter weit über sich hinaus wachsen – einfach weil ihre Leistung in einer Situation wirklich gebraucht wurde. Die Forschung hat gezeigt, dass Menschen sich weniger Gedanken um ihren Lohn machen als um das Wohlbefinden ihrer unmittelbaren Mitmenschen.
Vereinfacht gesagt: Sinn sticht Geld! Gemeinschaft ist wichtiger als Gehalt. Für mich ist das vollkommen evident: Wirtschaft heißt füreinander tätig sein; das Arbeitsergebnis ist der individuelle Beitrag für diese
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