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Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)

Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)

Titel: Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Götz W. Werner
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Fragestellungen, die uns in die Lage versetzen, uns zu orientieren? Wer fragt, der führt. Eine Antwort, noch dazu, wenn sie vom Chef gegeben wird, macht alles klar. Eine Frage hingegen eröffnet Bewusstsein. Dann fängt man an zu suchen. Allein oder in der Gruppe: »Wir haben jetzt die und die Fragen zu lösen. Wie können wir uns dem nähern?« Dann geht man in die Bildgestaltung, dann sucht man Informationen zusammen. Man muss sich auch fragen, ob die Frage überhaupt relevant ist. Ist das wichtig für mich? So kommt Wärme ins Spiel. Wenn jemand nicht heiß auf eine Fragestellung ist, dann hat es gar keinen Sinn, ihn damit zu belasten. Dann soll er lieber schauen, dass er seine anderen Aufgaben gut macht. Im neuen Denken ist der Chef nicht mehr » Direktor «, sondern » Evokator «, jemand, der etwas evoziert , der etwas hervorruft.
    Wir müssen aus Betroffenen Beteiligte machen. Das ist das Prinzip der Subsidiarität. Je besser es uns gelingt, aus den Betroffenen Beteiligte zu machen, desto dynamischer und unternehmerischer wird das Unternehmen.
    Mit der Zeit tauchte dieser Leitgedanke in allen dm-Publikationen auf: Die Betroffenen können am besten sehen, worauf es ankommt, am besten erkennen, was jetzt notwendig ist. Je mehr Menschen des Unternehmens aus eigener Erkenntnis bestimmen können, was notwendig ist, desto unternehmerischer wird das Unternehmen.
    Dieses neue Denken war die Folge der kurzen Begegnung mit einer geringfügig Beschäftigten in der Filiale Pirmasens. Man darf sich jetzt nicht vorstellen, dass ich am Ende der Autofahrt den Durchblick gehabt hätte und am nächsten Tag den Mitarbeitern in einer Betriebsansprache die neue Kultur verklickert hätte. Das Ganze dauerte Jahre und ging Schritt für Schritt, Stufe für Stufe. Wahrscheinlich ist der Weg heute noch nicht abgeschlossen. Aber einer der wesentlichen ersten Schritte für mich und für dm passierte Ende der 1970er Jahre in Pirmasens. Und das war nicht das einzige, was sich änderte.
    Die Schule der Demut
    Entwicklung ist ein diskontinuierlicher Prozess, der irreversibel in der Zeit verläuft. Das ist ein Standardsatz aus der modernen Entwicklungspsychologie, der zwei Erkenntnisse zusammenfasst: Erstens lernt ein Mensch nicht stetig, sondern immer schubweise. Das kann dauern, das kann schnell gehen, das kann plötzlich stattfinden. So wie die deutsche Wiedervereinigung. Keiner rechnet damit, plötzlich sind wir mittendrin.
    Zweitens kann man einen Entwicklungsschritt nicht rückgängig machen. Wer Laufen, Schwimmen oder Radfahren gelernt hat, kann das sein Leben lang. Das kann man nicht verlernen. Man kann aus der Übung kommen, aber man weiß immer noch, wie es geht.
    Eine Lektion, die ich lernte, kam aus der Schule der Demut. Ich kann nicht sagen, wann genau ich den entscheidenden Lernschritt machte. Aber eines Tages war mir wieder etwas Wesentliches klar, das mein unternehmerisches Handeln fortan von Grund auf veränderte.
    Die meisten Unternehmer meinen, man könnte Entwicklung steuern, wie man ein Schiff oder ein Auto steuert. Alles unter Kontrolle. Auch ich habe bei dm anfangs geglaubt, ich könne den Wachstumsprozess beherrschen. Ich wollte dafür sorgen, dass in allen Filialen gleichermaßen erfolgreich und deswegen gleichermaßen gearbeitet würde. Doch dafür brauchte es eine gewisse Brutalität, etwa wie bei Prokrustes’ Bett, jenem Bett, das sich in der antiken Sagenwelt der Unhold Prokrustes in den Fels gehauen hatte. Jeder Wanderer, der vorbeikam, wurde von dem Riesen gegriffen und in dieses Bett gelegt. War er zu lang, dann wurden ihm die Beine abgehackt. War er zu kurz, dann wurde er gestreckt. In dieser Weise pressen und zwängen viele Unternehmer ihre Mitarbeiter in ein Schema, das eigentlich nicht passt. Auch bei dm hatten wir uns anfangs Formen und Strukturen überlegt, in die sich jeder einfügen sollte, um anschließend alles bis ins Detail zu kontrollieren.
    Aber jetzt, in dieser Phase der Reflexion, wo ich alles nochmal hinterfragte, lernte ich, den Absolutheitsanspruch aufzugeben. Wir verabschiedeten uns von der formalen Gleichausrichtung unserer Filialen. Nach dem Motto: Der Kunde sieht doch sowieso nur einen Laden. Wir gaben das militärische Denken, die Uniformierung, den Gleichschritt auf – kurz: Wir verließen das Harzburger Modell. Definitiv.
    Heute würde ich sagen: So etwas passiert zwangsläufig, wenn man anfängt, sich mit dem Lebendigen zu beschäftigen. Die Entwicklung von etwas Lebendigem –

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