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Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)

Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)

Titel: Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Götz W. Werner
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heute haben, kann niemand mehr alles wissen. Die Menschen vor Ort müssen selbst wissen, was sie tun, und sie wissen es meist auch – und in der Regel besser als der Chef in der Zentrale. Doch anstelle der Evidenz (es gibt eine offensichtlich richtige Antwort) tritt die Empirie (in der Vergangenheit war der Chef für die Antworten zuständig, also ist er es auch jetzt und in Zukunft).
    Also beschloss ich, den Menschen das Fragen abgewöhnen. Das Rezept dazu habe ich schon oft empfohlen: Immer wenn mich jemand fragt, stelle ich eine Gegenfrage, und zwar nicht nur eine, sondern gleich drei – und möglichst ist eine darunter, die ein bisschen Arbeit macht. Statt also auf die Frage »Herr Werner, wie soll das und das gemacht werden?« wie bislang reflexhaft zu reagieren und zu sagen, wo es langgeht, antwortete ich nun: »Haben Sie denn das schon untersucht? Und dies wäre vielleicht auch noch eine Frage. Außerdem habe ich gehört, da gibt es ein Unternehmen sonstwo. Fahren Sie doch mal dahin. Finden Sie heraus, wie die das machen.«
    Die neue Führungslogik: vom Direktor zum Evokator
    Die Idee dahinter war zwingend einfach: Immer dann, wenn ich als Vorgesetzter eine Antwort gebe, dann sagt der Mitarbeiter: »Alles klar. Der Herr Werner hat das so gesagt. So muss ich das machen.« Auf diese Weise verblöde ich die Menschen. Das ist wie bei einem Navigationssystem. Wenn Sie immer mit dem Navi fahren, dann kennen Sie sich am Schluss in keiner Stadt mehr aus. Sie wissen nur, dass es jemanden gibt, der Sie »im Kreisel zweite rechts«, »in 100 Metern links« durch die Gegend kommandiert.
    Wenn ich hingegen dem Mitarbeiter eine Frage stelle, dann merkt er: »Oho, jetzt muss ich mir darüber Gedanken machen.« Die Frage regt an. Jetzt muss man sich ein eigenes Bild machen, um eine Antwort zu finden.
    Die neue Methode war unglaublich erfolgreich. Wer immer mir eine Frage stellte, bekam drei neue Fragen. Die Leute haben sofort begriffen: »Wenn ich zum Herrn Werner gehe, obwohl ich die Lösung schon weiß, dann bohrt er mir mein Problem auf.« Diese Art der instinktiven Rückdelegation hat super funktioniert. Plötzlich hat keiner mehr ohne echtes Anliegen gefragt. Jetzt haben die Leute die Antwort, die sie eigentlich schon selbst kannten, sich zu eigen gemacht und auch verantwortlich getragen.
    Deswegen empfehle ich allen Vorgesetzten, jeden Tag dafür zu kämpfen, dass ihre Leute möglichst wenig an sie denken und möglichst viel an die Kunden. Je mehr Mitarbeiter lernen, die Bedürfnisse ihrer Kunden selbstständig zu erkennen, desto unternehmerischer wird ein Unternehmen.
    Das war eine wichtige Wendung für dm. Denn dieses Verhalten betraf nicht nur mich, sondern die gesamte Führungslogik unseres wachsenden Filialunternehmens. Wie soll man tausend Filialen führen? Zwanzig Filialen, das kriegt man noch hin. Mit einem schnellen Auto schafft man vielleicht fünfzig Filialen. Mit Handy und Rakete vielleicht sogar 75. Aber irgendwann ist quantitativ das Ende erreicht. Je mehr Filialen, desto dünner wird die Suppe. Am Schluss ist das Unternehmen überhaupt nicht mehr führbar.
    Es bestätigte sich in dieser Phase meine eigene persönliche Erfahrung, dass Hellmuth J. ten Siedhoff mir kein umfangreiches Organisations-Handbuch auf den Tisch geworfen, sondern einfach nur ein paar zentrale Fragen gestellt hatte. Weil ich selbst eine Antwort finden musste, beschäftigte ich mich mit den Begriffen, und so kam ich zu einer anderen Terminologie. Erkennen ist ein Zusammenspiel von Wahrnehmung und Begriff: Die Wahrnehmung kommt von außen, der Begriff kommt aus meiner Lebenserfahrung. Wenn ich die Wahrnehmung mit dem Begriff zusammenführe, entsteht Erkennen . Und so wurde mir klar: Ein Unternehmen dieser Größenordnung muss man mit Begriffen führen.
    Wenn einer Direktor heißt, dann wird er das Unternehmen per Direktive führen und seine Mitarbeiter wie Marionetten dirigieren . Mit unserer Unternehmenskultur brauchten wir aber nicht Marionetten, sondern Menschen, die vor Ort selbst entscheiden. Denn nur sie stehen im Außenkontakt mit den Kunden und wissen besser als jeder andere, was im Sinne des Kunden zu tun ist. Kurz: Direktor ist der falsche Begriff.
    Führungskräfte von heute und in der Zukunft sind die Menschen, welche die richtigen, die interessanten Fragen stellen, nicht die, welche die guten Antworten geben. Früher ging es um gute Antworten, heute geht es um die interessanten Fragen. Wer hat die in die Zukunft weisenden

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