Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)
nämlich individuell besondere Situationen gab, die offenbar mehr oder längere Telefonate notwendig machten.
Wenn man immer nur aufs Know-how schaut, dann funktionieren zwar die Prozesse scheinbar immer besser – aber man entleert das Unternehmen um den Sinn, den es einmal hatte. Man muss lernen, den Mitarbeitern zu vertrauen. Wenn sie wissen, warum und wozu sie etwas tun – zum Beispiel telefonieren –, dann werden sie das in angemessener Weise tun. Und da gibt es eben sehr unterschiedliche Wege zum Ziel.
In vielen Unternehmen wird immer nur übers Know-how geredet. Auf die Frage »Wo wollen Sie hin?« heißt die Antwort: »In zwei Jahren wollen wir doppelt so groß sein.« Oder: »Wir streben ein Wachstum von zwanzig Prozent an.« Das ist dummes Zeug. Wachstum ist kein Selbstzweck. Wenn man die Dinge gut macht und sinnvoll, also so, dass die Menschen sie brauchen, dann wächst ein Unternehmen notwendigerweise von allein. Die einzige vernünftige Antwort auf die Frage »Wo wollen Sie hin?« lautet: »Ich will es besser machen!« Und dann ist die nächste Frage: »Was können wir hier besser machen?« Dann ist man wie von selbst im qualitativen Bereich. Und schon ist man auf der Suche nach Spitzenleistung.
Wenn ich in einen Laden komme und es ist kein Kunde drin, dann nützt es nichts, den Regalbestand zu kontrollieren, die Kassenbücher zu kontrollieren oder nach den Verkaufszahlen zu fragen. Dass kein Kunde da ist, sieht doch jeder Mitarbeiter selbst. Ich muss ihn fragen, woran es liegen kann, dass tausend Leute auf der Straße sind, aber kein Kunde bei uns. Ich muss fragen: Wie können wir uns nützlich machen? Wie schaffen wir es, dass die Kunden bei uns einkaufen wollen?
Man muss sich das so vorstellen: Jeder Kunde, der zu uns kommt, muss an mindestens zwei Wettbewerbern vorbei. Der muss genau wissen, warum er bei dm einkauft, obwohl er das gleiche Produkt schon auf dem Drittel des Weges bekommen könnte, obwohl es regnet, obwohl er noch über eine vierspurige Straße muss, obwohl das Kind schon plärrt. Egal, sagt der Kunde, ich will zu dm. Trotz all der Mühen ist er endlich bei uns – und dann ist der Laden noch nicht offen, weil der Schlüsselträger sich verspätet hat. Oder wir haben von acht Produkten nur fünf vorrätig, weil wir nicht rechtzeitig nachbestellt haben. Für den Kunden ist das eine Katastrophe. Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass wir durch effiziente Arbeit ohne Verschwendung günstige Preise erwirtschaften, dass wir die Regale auffüllen, dass wir die Öffnungszeiten sicherstellen. Wozu arbeiten wir bei dm? Damit der Kunde zufrieden ist. Deswegen!
Die Kernfrage ist: Wollen wir, dass unser Unternehmen ein erfolgreiches Unternehmen wird, oder wollen wir nur einen sicheren Arbeitsplatz haben?
Weil der Mensch nicht Mittel ist, sondern Zweck
Ich bin es tausend Mal von Journalisten, von Wissenschaftlern, von anderen Unternehmern gefragt worden: Nein, bei uns hat es nie ein Leistungs-Anreizsystem gegeben! Man könnte jetzt sagen: Schade, dann wäre dm dreimal so groß geworden. Gut, dem könnte ich nichts entgegensetzen. Möglicherweise ist dm unter seinen ökonomischen Möglichkeiten geblieben. Trotzdem würde ich alles immer wieder so machen, und zwar deswegen, weil der Mensch nicht Mittel ist, sondern Zweck.
Wenn ich einen Menschen führe mit dem Ziel, dass er effizienter und produktiver wird, dann wäre der Mensch wieder Mittel. Viele Menschen verwechseln Führung mit Manipulation: Man müsse den anderen dazu bringen, dass er etwas macht, was er eigentlich gar nicht will, aber so, dass er glaubt, er habe es gewollt. Wie zynisch! Wie menschenverachtend!
Nein, uns muss diese kopernikanische Wende im Denken gelingen, dieser Paradigmenwechsel in unserem sozialen Bewusstsein. Schon seit der Französischen Revolution, seit der Erklärung der Menschenrechte wissen wir, dass alle Menschen gleich sind, dass es keine Herren, keine Knechte gibt. Aber dieses Wissen ist noch immer nicht in unser Tun übergegangen. Noch immer behandeln viele Führungskräfte ihre Mitarbeiter wie Leibeigene. Aber: Die Menschheit hat sich weiter entwickelt.
Wirtschaft heißt füreinander tätig sein. Der Mensch ist Zweck. Und deswegen heißt Führung heute eben nicht mehr, dem Mitarbeiter zu zeigen, wo es langgeht. Der moderne Führer beantwortet nicht die Wie-Frage, sondern die Warum- und Wozu-Frage. Wenn die Menschen das Bewusstsein des Wozu haben, wenn sie wissen, worauf es ankommt, dann finden sie
Weitere Kostenlose Bücher