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Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)

Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)

Titel: Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Götz W. Werner
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einer Pflanze, einem Tier, einem Menschen oder einem sozialen Organismus – kann man nur mittelbar beeinflussen, nie unmittelbar. Sonst wäre es, als würde man sein Kind am Halsband führen. Aber dann entwickelt es sich nicht mehr. Wer Entwicklung ermöglichen will, kann immer nur Rahmenbedingungen schaffen, in denen eine Entwicklung möglich wird. Aber wann und wie diese Entwicklung passiert und wohin sie führt, das weiß man nicht. Dieses Risiko muss man (er)tragen.
    Die meisten Chefs finden es bequemer, wenn die Mitarbeiter tun, was man ihnen sagt. Wenn man sagt: »Augen links«, dann gehen die Augen nach links. Wenn man sagt: »Augen rechts«, dann gehen die Augen nach rechts. Wenn man sagt: »Die Hände an die Hosennaht«, dann legen sie die Hände an die Hosennaht. In gewisser Weise kann das auch für den Mitarbeiter angenehm sein. Das funktioniert nämlich wunderbar, wenn der liebe Gott mein Chef ist. Dann muss ich mir keine Sorgen machen. Aber wenn ich mit anderen Menschen zu tun habe, die genauso Fehler haben wie man selbst, dann wird es schnell problematisch. Früher oder später kommt man an den Punkt, wo man lernt, dass andere Menschen andere, vielleicht sogar bessere Ideen haben und dass wir miteinander sprechen sollten, um die beste Lösung zu finden.
    Es trat einmal eine Personalberaterin, die ich schon lange kannte, mit einer Bitte an mich heran: »Herr Werner, ich weiß, dass Sie niemanden von außen einstellen, aber ich habe da einen Bewerber, der bei Lidl eine gute Karriere gemacht hat und inzwischen in England ist. Der Sohn wird jetzt schulpflichtig. Deswegen will er wieder zurück nach Deutschland. Sein Wunsch ist es, bei dm tätig zu werden. Ein ganz tüchtiger Mann.« Weil ich ihr vertraute, lud ich den Mann zu einem Vorstellungsgespräch ein. Er machte wirklich einen guten Eindruck, also gab ich ihm eine Chance: »Übernehmen Sie erst einmal ein Verkaufsgebiet, und dann sehen wir, wie wir auf die Dauer zusammenkommen.« Natürlich alles sauber geregelt.
    Bald darauf hörte ich, er habe gekündigt. Sofort rief ich ihn an und erkundigte mich, was passiert sei. Da entschuldigte er sich: »Herr Werner, mir ist das auch unangenehm, aber ich muss Ihnen ehrlich sagen, wenn ich bei Lidl in den Laden gekommen bin und habe den Leuten etwas gesagt, dann haben die das genau so gemacht. Bei Ihnen muss ich mit dem Filialleiter immer erst diskutieren. Gleichgültig, was ich machen will, immer werde ich zur Rede gestellt, muss mich rechtfertigen, muss es genau erklären, sonst machen die das nicht. Ich bin ganz zerknirscht darüber, aber das halte ich auf Dauer nicht aus.« Er ist dann wieder zu Lidl zurückgekehrt.
    Von hinten nach vorne statt von oben nach unten
    An solchen Beispielen erkannte ich, dass Führung durch Vertrauen für die Vorgesetzten manchmal schwieriger ist als für die Mitarbeiter. Das liegt möglicherweise daran, dass Führungskräfte ein falsches Bild vom Unternehmen im Kopf haben. Sie denken nämlich das Unternehmen als Hierarchie. Wenn man einen Manager auffordert, sein Unternehmen aufzuzeichnen, dann kritzeln sie in 95 Prozent der Fälle eine Pyramide aufs Papier. Dabei habe ich so eine Pyramide noch in keinem Unternehmen gesehen. So etwas kann man nicht sehen, sondern nur denken. Denn Hierarchie ist eine Ideologie, genau wie der Homo oeconomicus. Den hat auch noch keiner gesehen.
    Ein Unternehmen ist aber keine Hierarchie, sondern ein Prozess. Wenn man die Augen aufmacht, während man das Unternehmen betrachtet, dann sieht man immer irgendwo den Eingang für Lieferanten, Input. Dann sieht man die Mitarbeiter, wie sie fleißig arbeiten. Auf wundersame Weise findet eine Metamorphose dessen statt, was vorn hereingekommen ist; vielleicht gibt es noch eine zweite Fertigungsstufe mit weiteren fleißigen Mitarbeitern und einer weiteren Metamorphose. Irgendwann hinten kommt ein Endprodukt heraus, der Output. Da geht es nicht rauf und runter, sondern da geht es von hinten nach vorn. Das ist ein Prozess, keine Hierarchie.
    Das heißt, wir müssen lernen, das Hierarchiebewusstsein in ein Prozessbewusstsein zu verwandeln. Mit Hierarchiebewusstsein wandert der Blick des Mitarbeiters immer von unten nach oben, und er überlegt sich: Was meint der Vorgesetzte? Wie soll ich das machen? Wie kann ich es so machen, dass es dem Vorgesetzten gefällt?
    Mit Prozessbewusstsein wandert der Blick von vorne nach hinten und von hinten nach vorne, und der Mitarbeiter überlegt sich: Welche Vorleistung

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