Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)
wir 30 Jahre Erfahrung in Ladendesign mit dem Computer Aided Design, CAD. Mittlerweile werden alle Geschäfte detailliert ausgemessen und die Ladenpläne bis auf den Zentimeter genau auf einem CAD-Rechner entwickelt.
Wenn man möglichst viele Kunden erreichen will, braucht man viel Ware. Macht man alles richtig, hat man ein Problem: Viele Kunden und viele Waren muss man irgendwo unterbringen. Will man nicht riesige Ladenflächen anmieten, muss man sich etwas einfallen lassen. Vereinfacht gesagt: Ware lässt sich leichter stapeln als Kunden. Man kann oft beobachten, dass die Kaufleute ihre Läden mit Ware vollstellen und sich wundern, dass keine Kunden mehr kommen. Wenn man zuerst an den Kunden denkt, dann schafft man Platz, damit er sich wohl fühlt. Er muss einen Schritt zurücktreten können, wenn er vor dem Regal steht, um die Ware sehen zu können. Gerade in der Selbstbedienung muss man dem Kunden die Gelegenheit geben, zu finden, was er sucht, ohne danach zu fragen. Dazu müssen beispielsweise die Gänge breit sein, aber nicht so breit, dass man sich allein auf weiter Flur fühlt. Das ist eine Kompositionsfrage, gewissermaßen die Kunst des Handels.
Es geht um Originalität. Als Händler schreibt man eben kein Buch, das millionenfach gedruckt wird, und immer steht das Gleiche drin. Nein, der Laden verändert sich ständig. Jeder Kunde, der hereinkommt, verändert die Komposition. Deswegen sieht auch kein dm-Markt aus wie der andere. Trotzdem muss der Kunde in dem Moment, wenn er den Laden betritt, spüren: Das muss ein dm sein, oder zumindest hat da einer dm kopiert. Dafür stellen die Filialmitarbeiter nicht alles Bisherige auf den Kopf, sondern knüpfen an die Raumkonzepte anderer dm-Filialen an und entwickeln die dm-Idee im Rahmen des Vorgegebenen weiter. Diese Form von Originalität muss man im Unternehmen kultivieren.
Zeitweilig experimentierten wir in den Filialen mit einer lila Säule. Dem lag die Idee zugrunde, dass man sich als Kunde unwohl fühlt, wenn man die Orientierung verliert. Das kann in einem 400 m2 großen Geschäft schnell passieren. Man geht nach links, man geht nach rechts, man beugt sich hinunter – und plötzlich weiß man nicht mehr, wo der Ausgang ist. Dieses kurze Aufflackern von Beunruhigung wollten wir vermeiden, indem wir dem Kunden zur Orientierung eine lila Säule in die Ladenmitte stellten – etwa wie der Fernsehturm auf dem Alexanderplatz in Berlin. Da weiß jeder Tourist ganz gleich bei welchem Wetter, in welche Richtung er sich bewegen muss. Die lila Säule hat sich auf die Dauer nicht bewährt, allein weil es gar nicht in allen Gebäuden Säulen gibt. Aber bis heute gestalten wir jeden Laden so, dass der Kunde immer überall den Ausgang sehen kann. Das entspannt. Man weiß immer, wo der Fluchtweg ist.
Jeden Tag das Unternehmen neu erfinden
Jeder lernt auf die gleiche Weise, nämlich indem er etwas erlebt. Nur ist die Frage, was man im Erlebten erkennt. Und was man aus dem Erkannten lernt. Alle sehen das Gleiche. Aber erkennen, worauf es ankommt, können nicht ganz so viele. Daraus lernen tun noch weniger. Und die wenigsten machen das Gelernte zu einer Maxime des eigenen Handelns. Das ist die Staffelung: Erleben, Erkennen, Lernen und daraus ein Lebensparadigma machen. Daran muss jeder für sich selbst arbeiten. Der Unternehmer als Führungskraft kann und muss lediglich die Lernbereitschaft der Mitarbeiter forcieren und ihre Offenheit für Neues fördern.
Mitarbeiter müssen angstfrei sagen können: »Wir sind doch ein aufgeschlossenes Unternehmen, ich habe da eine Idee!« Und dann darf man nicht sagen: »Bleiben Sie fort, das haben wir schon vor dreißig Jahren ausprobiert, das funktioniert nicht!«
Der Unternehmer muss ermutigen: »Wir brauchen immer wieder einen neuen Ansatz. Jeden Tag müssen wir das Unternehmen neu erfinden, jeden Tag!« Das ist die wesentliche Führungsaufgabe.
Manche halten es für »Detailversessenheit« und fassen sich an den Kopf, wenn sie hören, welche Themen wir da manchmal in der Geschäftsführungsrunde behandelt haben. Man könnte das als Kleinkram der Filialen abtun. Aber: Retail is detail. Es geht um jede Winzigkeit. Und es geht um permanente Veränderung. Die Chance zur Erneuerung.
Die meisten Unternehmen leiden darunter, dass sie meinen, die Führungskraft habe dafür zu sorgen, dass alles so bleibt, wie es ist. Aber das ist Verwaltungsdenken. Der Verwalter hat dafür zu sorgen, dass alles stabil und berechenbar bleibt. Der
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