Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)
»entlernen« – nämlich alte Gewohnheiten abzulegen, um für das Neue Platz zu machen. Und hier kommt die Führungskraft ins Spiel: Sie muss den Menschen klar machen, dass es nicht immer darum geht, etwas Neues zu lernen, sondern dass es ganz, ganz wichtig ist, das Alte abzulegen!
Das ist eine ganz wesentliche Führungsaufgabe. Die Führungskraft muss den Menschen immer wieder ins Bewusstsein bringen, dass es wichtig und wertvoll ist, sich Altes abzugewöhnen, bevor man etwas Neues beginnt. In vielen Unternehmen wird das gar nicht gesehen. Da wird immer aufgesattelt und aufgesattelt. Der Gordische Knoten wird dadurch immer dicker und größer, das Durcheinander wächst und wächst. Deswegen ist das Gestalten von Veränderungen mit alten, bewährten Mitarbeitern oft ein schwierigeres Unterfangen als mit neuen, unerfahrenen. Die alten haben sehr viel größere Probleme, mit der gewohnten, vielleicht sogar lieb gewordenen Routine zu brechen.
Man muss die richtigen Fragen stellen: »Wozu machst du das? Wieso machst du es auf diese Art?« Das können die Leute manchmal gar nicht erklären. »Das haben wir schon immer so gemacht«, heißt es dann. »Ich habe nie darüber nachgedacht, es anders zu machen.«
An diesem Punkt setzt Bewusstsein ein. Wenn man anfängt, darüber nachzudenken, warum man etwas auf eine bestimmte Art und Weise macht, dann tut man es nicht mehr unbewusst, sondern bewusst. Wobei die unbewusste Tätigkeit aus der Routine heraus durchaus ihren Wert hat. Sogar sehr großen.
Nehmen Sie zum Beispiel das Autofahren: Wenn Sie beim Autofahren nicht kurz davor sind einzuschlafen, dann fahren Sie nicht sicher Auto! Der sichere Autofahrer fährt mit nachtwandlerischer Sicherheit. Warum? Das Fahren und alles, was dazu gehört, sind ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Er fährt so gut, dass er über die Abläufe gar nicht mehr nachdenken muss, die passieren automatisch. Er ist ein Routinier.
In diesem Sinne ist die erste unternehmerische Aufgabe, für Produktivität zu sorgen. Dafür müssen die Prozesse in Fleisch und Blut übergehen, so dass sie sicher, effizient und also auch produktiv werden. Routiniert arbeiten heißt, kostengünstig und fehlerfrei zu arbeiten. Das Motto »Bloß keine Veränderungen!« – »Never change a winning team!« – ist gut für Routinearbeiten. Bis zu einem gewissen Grad braucht man das in jedem Unternehmen. Sobald man nämlich etwas Neues beginnt, geht zunächst furchtbar viel schief. Mitarbeiter eines Start-up-Unternehmens zum Beispiel sind in der Regel hoch motiviert, aber selten effizient. Da wird dies und jenes ausprobiert. Man sucht den richtigen Weg und irrt noch recht lange herum. Wenn in der Industrie eine neue Fertigungsserie angefahren wird, gibt es zuerst enormen Ausschuss. Irgendwann ist die Qualität gut, der Ausschuss fast gleich null.
Der Rhythmus von Routine und Erneuerung
Diesem unternehmerischen Ziel »hohe Produktivität« steht das andere diametral entgegen. »Innovation«. Es ist die zweite unternehmerische Aufgabe, die Menschen aus der Routine herauszureißen und dadurch Neues zu ermöglichen. »Um Gottes Willen«, bekommt man dann zu hören, »sind Sie wahnsinnig geworden? Wir haben es gerade geschafft! Endlich ist der Ausschuss niedrig, und jetzt zerstören Sie wieder alles?!« Aber wenn der Autofahrer tatsächlich einschläft, dann passiert ein Unglück. Deswegen muss er Pausen machen, sich erneuern und sich regenerieren.
Routine und Erneuerung müssen in einen Rhythmus kommen. Beide Bereiche sind gleich wichtig im Unternehmen. Den richtigen Rhythmus zwischen Kontinuität und Kreativität zu finden, das ist die eigentliche Herausforderung. Führen heißt, einen Rhythmus herstellen zwischen Beibehalten des Bestehenden und Kultivieren der Veränderung. Im Rhythmus von Kreativität und Kontinuität liegt die Kraft für die Prosperität des Unternehmens. Wenn ein Unternehmen zu kreativ wird und dadurch die Stabilität leidet, dann kann es passieren, dass das Unternehmen abhebt und sich nicht mehr wiederfindet. Beim menschlichen Organismus würde man sagen, dass Wucherungen entstehen, Krebs. Dann geraten die Zellen, das Zellwachstum außer Rand und Band und töten den Organismus. Wenn man hingegen nur Wert auf Konsolidierung legt und alles immerfort beim Alten bleibt, dann verhärten die Strukturen. Sklerose. Herzinfarkt. Auch tödlich.
Lebendig wird die Sache erst durch den richtigen Rhythmus. Rhythmus ist Leben. Leben ist Rhythmus. Im Rhythmus
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