Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)
Unternehmer dagegen hat dafür zu sorgen, dass alles immer wieder aus einem neuen Blickwinkel gesehen wird. Er muss ständig neue Impulse geben, alles hinterfragen und damit immer wieder neue Begründungen evozieren. Erzwingen kann er nichts. Der Geist weht, wann er will. Man kann nicht vorhersagen, wann ein Mitarbeiter welchen Gedanken hat. Aber man kann Rahmenbedingungen schaffen, dass er sich zu denken traut – und dass er in Übung bleibt.
Deswegen gehe ich bei allen Filialbesuchen – und das ist kein Aufwand – auf die Mitarbeiter zu und frage sie, wie es ihnen geht, was sie meinen, was sie beobachten und was ihnen fehlt. Das ist kein oberflächlicher Smalltalk, diese Fragen sind mir ein ernstes Anliegen. Und wenn ein Mitarbeiter etwas anspricht, und sei es auch das kleinste Detail, das nicht er selbst verändern kann, sondern das wir in der Zentrale angehen müssen, dann nehme ich es dorthin mit und mache es zum Thema. Einmal fehlt in einem Laden das Transparent, das man aufhängen wollte, um auf eine Aktion aufmerksam zu machen. Einmal entdecken Mitarbeiter einen Fehler bei irgendeiner Produktauszeichnung.
Jeder Mensch trägt eine Unzufriedenheit mit den herrschenden Umständen mit sich herum. Das können Sie bei anderen besser beobachten als bei sich selbst. Aber Sie werden mir zustimmen: Die Menschen sind ständig mit irgendetwas unzufrieden, nörgeln an diesem und jenem herum. Das nervt, wenn es eine destruktive Unzufriedenheit ist. Aber wenn jemand konstruktiv unzufrieden ist, liegt darin eine ungeheure Chance. Denn konstruktive Unzufriedenheit mit den herrschenden Umständen ist die Voraussetzung für Innovation. Die destruktiv Unzufriedenen gibt es in Hülle und Fülle, aber sie entwickeln keine Idee der Veränderung. Der konstruktiv Unzufriedene hat immer eine Idee. Er geht mit der Frage durch die Welt: Wie kann ich das verbessern? Wie kann ich das weiterentwickeln?
Diese Fähigkeit zur konstruktiven Unzufriedenheit ist etwas zutiefst Menschliches. Ein Tier hat das nicht. Ein Tier hat keinen Drang nach Verbesserung. Ein Tier nimmt alles, wie es ist. Der Mensch aber will sich und die Welt verbessern, er ist unzufrieden mit dem Bestehenden und sucht den Fortschritt zum Besseren. Diese Unzufriedenheit sorgt dafür, dass wir uns entwickeln. Deswegen muss man im Unternehmen diese – wohlgemerkt: konstruktive! – Unzufriedenheit bewusst fördern und kultivieren. Das ist die Voraussetzung für Veränderung. Jeden Tag müssen wir unser Leben auf den Prüfstand stellen und uns fragen: Kann ich heute so weitermachen wie gestern? Ich nenne das Innovationsfitness.
Entlernen ist wichtiger als Lernen
Vermutlich kennen Sie das aus eigener Erfahrung: Man begrüßt jemanden bei einem Klassentreffen, und der sagt: »Du bist ja immer noch der Alte.« Ein schlechteres Kompliment können wir gar nicht bekommen. Die Aufgabe, die wir im Leben haben, ist, uns zu verändern, ein anderer zu werden.
Veränderung verläuft immer in vier Schritten. Zuerst muss man das Gewordene hinterfragen. Man macht sich klar – nach dem Motto: Zukunft braucht Herkunft –, wie man eigentlich an diesem Punkt angekommen ist. Wo bin ich? Wo stehen wir? Das muss man nüchtern, aber nicht »cool«, also gefühlskalt, sondern mit warmem Herzen analysieren und verstehen. Als nächstes muss man das Gewordene umdenken. Das ist der zweite Schritt, schon schwieriger. Der dritte Schritt ist, das Neue zu kreieren, und der vierte, das Neue dann in das Bestehende zu integrieren. Das ist die Kunst, die soziale Kunst. Es geht darum, den Menschen zuerst die bestehende Situation mit ihren negativen Implikationen zu verdeutlichen, ihnen dann alternative Lösungen zu vermitteln, diese im Denken zu verankern. Die alternative Idee muss umsetzbar sein, und dann kann daraus ein Programm werden, das die Menschen entschlossen anpacken. Erst wenn man die Ideen, wie man seine Ziele anders als bisher erreichen kann, im Bewusstsein verankert hat, kann man die Veränderung einleiten. Sind die Lösungen plausibel, konkret und praktikabel, dann kann man die Veränderung mit dem festen Vorsatz einleiten: Jawohl, das ist das, was ich in Zukunft machen will! Und mit der Zeit und mit etwas Übung sind die neuen Verhaltensweisen erlernt. Das ist im privaten Alltag genauso wie im Unternehmen oder in der großen Politik.
Dabei ist es gar nicht so wichtig, das Neue zu lernen. Das kann nämlich in der Regel jeder sehr schnell. Viel schwieriger ist es, das Alte zu
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