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Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)

Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)

Titel: Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Götz W. Werner
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stabil ausgesehen hatte, offenbarte nun seine tönerne Struktur. Aus einer kurzen, leicht gestammelten Erklärung auf einer Pressekonferenz bildete sich plötzlich eine Eigendynamik mit den heute bekannten Folgen. Es war ein schicksalhafter Glücksmoment: Solch ein geschichtlicher Wendepunkt, ohne dass ein Schuss fällt – wo hat es das schon gegeben.
    Es war die erste politische Veränderung in Deutschland, mit der alle umliegenden Staaten einverstanden waren. Auch das war eine neue Erfahrung, die mich als geschichtlich denkenden Menschen sehr berührt hat. Ich bin die nächsten Monate und Jahre fast nur noch durch Ostdeutschland gereist, um dieses nahe und doch so fremde Land kennenzulernen.
    Aufbruch nach Osten – dm wird zur Donau-Monarchie
    Für mich als Unternehmer war diese neue historische Situation eine gewaltige Chance und Herausforderung: Millionen mäßig oder schlecht versorgte Verbraucher und keine wettbewerbsfähige Konkurrenz? Der ganze Handel hat sich über Nacht auf die neuen Bundesländer gestürzt!
    Damals waren wir binnen Kurzem in der Lage, 18 Millionen Menschen zusätzlich zu versorgen, ohne dass an anderer Stelle Engpässe entstanden wären. Ein Zeichen unserer Fähigkeit, eine Vielzahl an Gütern und Dienstleistungen hervorzubringen, die weit über das hinausreichen, was wir eigentlich brauchen. Wir lebten damals schon im Überfluss und konnten von einem Tag auf den anderen noch sehr viel mehr produzieren. Wenn ich später auf das Grundeinkommen zu sprechen komme, wird diese Produktivität eine Rolle spielen. Aber damals wusste ich noch nichts von solcherlei Ideen. Politik und Gesellschaft interessierten mich, aber bloß als regelmäßigen Zeitungsleser; ansonsten konzentrierte ich mich auf meine Arbeit als Unternehmer.
    Unsere erste ostdeutsche Filiale war in Halle an der Saale, das weiß ich noch wie heute. Wir hatten im Herbst 1990, also kurz nach der Währungsunion, auf einer kleinen Fläche ein Ladenlokal eröffnet. Ich war selbstverständlich persönlich vor Ort und habe von morgens bis abends an der Kasse gestanden, geschaut, reguliert, organisiert, mit den Kunden gesprochen, Ware eingepackt, Einkaufswagen zusammengeschoben – all diese Hilfsdienste erledigt. Da gibt es immer etwas zu tun. Wir machten einen Riesenumsatz. Es war eben – fast wie ganz am Anfang, als wir in Karlsruhe gestartet sind – eine zweite Pionierzeit. Das war eine Sensation für alle.
    Und plötzlich hatte es auch Sinn, sich mit Tschechien, mit Slowenien, mit Ungarn zu beschäftigen. Die Welt hatte eine neue Himmelsrichtung bekommen. Früher waren wir nur in Deutschland und Österreich aktiv gewesen. Ich hatte ganz am Anfang mal zusammen mit einem elsässischen Kollegen eine Filiale in Frankreich eröffnet, die wir aber nach kurzer Zeit wieder schließen mussten. Dabei hatten wir hatten etwas Wichtiges gelernt: Es gibt unterschiedliche Kulturen des Einkaufens. Bis heute gibt es in Frankreich keine Drogeriemärkte, wie wir sie in Deutschland für selbstverständlich halten. Auch in Italien gibt es nichts Vergleichbares. Einzelhandel ist eine Kulturveranstaltung. Als der amerikanische Supermarktriese WalMart nach Deutschland expandieren wollte und die Wertkauf-Kette übernahm, musste er nach wenigen Jahren aufgeben, weil die Deutschen sich nicht mit der amerikanischen Kaufkultur anfreunden konnten.
    Nun also blickten wir auf einen Riesenmarkt im Osten, wo Kundinnen und Kunden lebten, die das Drogerie-Discount-Geschäft allerhöchstens aus dem West-Fernsehen kannten. Würden sie sich für unsere Drogeriemärkte begeistern können? Da wir in Österreich großen Erfolg hatten und viele osteuropäische Länder historisch mit dem Kaiserreich Österreich verbunden waren, lag es nahe, diesen Markt von Österreich aus zu erschließen.
    dm Österreich hatte sich über die 1980er Jahre hinweg, obgleich rechtlich unabhängig, parallel zu dm Deutschland entwickelt. 1982 hatten wir die Philosophie gemeinsam erarbeitet, zwei Jahre später führte auch dm Österreich als erstes Handelsunternehmen der Branche Scannerkassen ein. 1986 wurden Alnatura-Bioprodukte ins Sortiment aufgenommen. Ende des Jahrzehntes startete dm Österreich jedoch nach und nach eine Reihe ungewöhnlicher Dienstleistungsangebote, die es in Deutschland nicht geben sollte.
    Ausgangspunkt für diese Entwicklung war die Kooperation von einem knappen Dutzend österreichischer Unternehmer, die sich Mitte der 1980er Jahre zusammenfanden, um ein

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