Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)
behandelt, sondern schätzen, was Ihnen widerfährt. Dann verbirgt sich in allem Sinn, auch wenn er sich Ihnen vielleicht nicht auf Anhieb erschließt. Aber mit der Zeit entfaltet sich eine Dankbarkeit dafür, dass alles, was passiert, Folgen in der Zukunft hat. Dann stellt sich ein vergangenes Ereignis in einem anderen Zusammenhang als neue Aufgabe dar. Und jede Aufgabe, die man hat, ob sympathisch oder nicht, ob sie gefällt oder nicht, ist Teil des eigenen Lebens: »Das bist du! An die Arbeit!« Solches Denken erleichtert das Leben sehr. Im Umgang mit Fehlern und Niederlagen kann man vom Sport eine Menge lernen. Wenn man dieses Mal verliert, heißt das nur, dass es im Moment nicht reicht, dass man noch fleißig trainieren muss. Aber vielleicht rudert man jemandem, der im vergangenen Jahr noch schneller war, in diesem Jahr davon. In der Jugend kommt hinzu, dass man mit dem Alter kräftiger wird. Daraus kann man auch als Erwachsener Kraft ziehen. Was dieses Mal nicht klappt, klappt vielleicht beim nächsten Mal. Trainieren, üben, sich anstrengen. Beharrlich im Bemühen.
Etwa beim Rudern. Wollen Sie zum Beispiel eine Strecke von 2000 Metern rudern und schauen vom Start bis zum Ziel, überfällt Sie der Gedanke: Das schaffe ich nie! Wenn Sie sich dann überwunden haben, ist das ein grenzüberschreitendes Erlebnis. Je öfter man das mit zunehmendem Alter erlebt, desto sicherer weiß man: Du bist doch noch immer über die Runden gekommen, schaffst es auch diesmal.
An dieser Stelle verbindet sich die Leistungssporterfahrung aus der Jugend mit der unternehmerischen Disposition. Es gibt keine ausweglosen Situationen. Irgendwo geht es weiter, irgendwie findest du einen Weg. Jemand, der nicht unternehmerisch disponiert ist, der gibt auf.
Vermutlich hat mich genau diese sportliche und unternehmerische Grundhaltung vor großen Krisen bewahrt. Wir hatten bei dm immer eine kontinuierliche Entwicklung ohne wesentliche Rückschläge – und zwar deswegen, weil wir so sensibel für Veränderung waren. Bei einem sensiblen Autofahrer merken die Passagiere gar nicht, dass es durch Kurven und Gefahren geht. Erst wenn der Fahrer zwischendurch nachlässt, sich nicht auf die Fahrt konzentriert, dann kommt es zur Vollbremsung, und das ist dann entsetzlich aufregend. Das sind die Geschichten, die in der Zeitung stehen. Die Geschichte von dm verlief im Wesentlichen wenig aufregend. Wir waren eben alle immer wach. Und wenn der eine träumte, passte der andere auf. Es geht um eine gesunde Geistesgegenwärtigkeit.
Gesunde Geistesgegenwärtigkeit
Ich schaue auf die Gegenwart, aufs Hier und Jetzt. Deswegen habe ich auch keine großen Antworten auf die immer wieder gern gestellte Frage: Welche Szenarien haben Sie für die Zukunft? Darauf kommt es gar nicht an. Wir müssen uns fragen: Wie lernfähig ist unsere Organisation? Wie gut können wir uns auf das Neue einstellen, wenn etwas Neues passiert? Die Zukunft kommt meistens überraschend. Nicht nur die große internationale Zukunft, Beispiel Wiedervereinigung, auch die kleine unternehmerische und die private Zukunft.
Deswegen lautet die richtige Frage nicht: »Haben wir die richtigen Szenarien?«, sondern: »Sind wir so aufgestellt, dass wir auf alles angemessen reagieren können?« Das ist Führung. Wenn man die Zukunft meistern will, dann kommt es nicht darauf an, dass man zutreffende Szenarien entwickelt, sondern dass man eine Fitness entwickelt für die Veränderungen des Lebens.
Wir machen bei dm am liebsten Mietverträge mit zehn Jahren Laufzeit plus drei mal fünf Verlängerungsoptionen, also mit bis zu 25 Jahren Laufzeit. Und zwar von Anfang an. Andere Handelsunternehmer schauen mich dann mit großen Augen an: »Um Gottes willen, wie können Sie einen solchen Mietvertrag unterschreiben?« Dabei ist die Antwort doch klar. Nein, wir wissen auch nicht, was im Jahr 20, 21, 22 passieren wird. Aber wir wissen, dass wir so aufgestellt sind, dass wir uns zutrauen, auch im Jahr 20, 21, 22 angemessen auf die dann entstehende Situation, die heute keiner kennt, reagieren zu können. Das ist das Selbstbewusstsein eines Unternehmens, wenn es sich in Innovationsfitness übt. Wir schließen einen Mietvertrag auf 25 Jahre ab, weil wir auch im 25. Jahr noch in der Lage sein werden, mit dem Mietvertrag, mit dem Obligo, etwas Vernünftiges zu machen. Da wird uns etwas einfallen. Das war das Schönste nach der Wende: Wenn damals jemand wissen wollte, wie dm in fünf Jahren aussehen wird, konnte ich
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