Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)
weitergeben konnten. Und die Verbraucher wussten die günstigen Preise zu schätzen. Bereits in den 1970ern war Aldi zum Hecht im Karpfenteich des Einzelhandels aufgestiegen. Es war naheliegend, das Discounter-Prinzip auch in anderen Handelsfeldern anzuwenden als nur im Lebensmittelhandel. Jedenfalls für mich.
Ich war 28 Jahre alt, eigentlich in einem großen Drogeriefilialbetrieb beschäftigt und hatte gar nicht vor, mich selbstständig zu machen. Ich schlug lediglich meinen damaligen Vorgesetzten vor, was mir evident erschien: »Wir setzen auch im Drogeriemarkt auf das Discountprinzip.« Leider fanden die Herren das nicht auf Anhieb plausibel, sondern fragten kritisch nach: »Wie wollen Sie das machen?«
Die Antwort fiel mir nicht schwer, sie lag auf der Hand: »Wir verkaufen statt 15 000 nur 2000 Artikel, dafür machen wir statt 10 000 Mark 120 000 Mark Umsatz!«
Doch die alten Drogerie-Hasen lachten bloß: »Sie können nicht rechnen, junger Mann! Diese Mathematik ist Ihnen etwas über den Kopf gewachsen.«
Nach ihrer Erfahrung schlug ich lauter Dinge vor, die sich gegenseitig ausschlossen. Das waren sachkundige Leute, sie wussten, wovon sie sprachen. Und sie waren zu höflich, um mir einen Vogel zu zeigen, aber eigentlich haben sie genau das gemeint: der kleine Spinner da, mit 28 Jahren, Flausen im Kopf!
Mich machte das wütend. Denn natürlich konnte ich meine Vorschläge nicht mit Empirie belegen, sondern nur wenn ich die Chance bekäme, sie in der Praxis unter Beweis zu stellen. Selbst mein Verweis auf die Aldi-Erfolge fruchtete nicht. Stattdessen bekam ich zur Antwort: »Was der Aldi macht, das ist nur eine vorübergehende Erscheinung« oder: »Das mag im Lebensmittelhandel funktionieren, aber im Drogeriemarkt wird das nie und nimmer klappen.«
Ende der Preisbindung – Anfang vom Ruin?
Die Diskussionen waren schon schwierig genug. Doch auch meine persönliche Lebenssituation machte die Sache nicht leichter. Ich hatte vor wenigen Jahren geheiratet, war junger Familienvater und trug damit privat große Verantwortung. Meine Frau Barbara, die ich bei einem meiner Besuche in Heidelberg 1967 kennengelernt hatte, war mit mir nach Karlsruhe gezogen. Im Mai 1971 war unsere Tochter Cornelia auf die Welt gekommen; im November 1972 unser Sohn Christoph. Mit der Stelle als Prokurist konnte ich gut für den Lebensunterhalt aller sorgen. Sollte ich das einfach so aufgeben? Wir lebten sparsam, aber ich verfügte über kein nennenswertes Eigenkapital. Zudem war die wirtschaftliche Situation in Westdeutschland damals sehr angespannt. Wenn ich mich nun selbstständig machte, würde ich für einen Kredit mindestens 14 Prozent Zinsen zahlen müssen. Oder mehr. Mein Schwiegervater, der als Verkaufsleiter in der Druckfarbenbranche relativ gut verdiente, rechnete mir quasi täglich vor, wie riskant meine Überlegungen wären und dass ich die ganze Familie in den Ruin stürzen würde.
Ich argumentierte, dass ich die Familie nur dann in den Ruin stürzen würde, wenn ich an der bisherigen Stelle bliebe; denn ich hielt die traditionellen Drogerie-Konzepte für veraltet und nicht mehr zeitgemäß. Sie hatten keine Zukunft, das war mir klar. Aber diese Einschätzung teilte in meiner Umgebung niemand. Egal mit wem ich sprach, ich biss überall auf Granit. Nur meine Frau Barbara hielt zu mir, obwohl sie mir in der Sache selbst keinen Rat geben konnte. Sie kannte sich in der Branche nicht genügend aus, vertraute aber darauf, dass ich eine vernünftige Entscheidung fällen würde. Was sollte ich tun?
Ausschlaggebend war letztlich, dass sich die politischen Rahmenbedingungen änderten. Schon seit einigen Jahren wurde in Deutschland die Abschaffung der sogenannten »vertikalen Preisbindung« diskutiert. Man wollte die Marktwirtschaft durch mehr Wettbewerb beflügeln. Dem stand die lange Tradition der Preisbindung entgegen. Die Industrie hatte sich über die Jahrzehnte das Privileg gesichert, dem Handel die Verkaufspreise diktieren zu können. Wir kennen das heute nur noch aus dem Buchhandel oder den Apotheken. Die Hersteller legen fest, was ein Produkt kostet, und jeder Händler muss das Produkt zu genau diesem Preis verkaufen.
In den Wettbewerb treten die Händler dann nicht, indem sie den Kunden unterschiedliche Preisangebote machen, sondern allein über die Art der Warenpräsentation, das Liefertempo, die Beratung oder einen zusätzlichen Service. Damit der Handel ökonomisch überlebt, muss er versuchen, die Differenzen
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