Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)
Bedürfnisse es decken muss: Die Kunden, die die Leistung generieren, also die Mitarbeiter und Kollegen; die Kunden, die helfen, überhaupt irgendetwas zu machen, nämlich die Lieferanten; und die Kunden, die hereinkommen, einkaufen und bezahlen. Sie alle sind der Maßstab des unternehmerischen Denkens. Der Mitarbeiter muss sagen: »Bei dm zu arbeiten, das ist sinnvoll. Dafür gebe ich meine Lebenszeit.« Der Lieferant muss sagen: »Es gibt zwar Unternehmen, die mehr Ware abnehmen. Aber wenn ich dm beliefere, dann habe ich eine Pilotfunktion. Das ist mein wichtigster Kunde. Da trage ich Sorge für ein richtig gutes Sortiment.« Und die zahlende Kundin muss sagen: »Jetzt habe ich ein so schönes Stellenangebot in einer anderen Stadt, aber dort gibt es keinen dm-Markt.« Der bewusste Kunde will heute nicht nur die richtige Ware zum richtigen Preis am richtigen Ort, sondern obendrein will er mit seinem Einkauf ein Unternehmen unterstützen, mit dessen Zielen er sich identifizieren kann. Das ist die vierte Dimension des Einzelhandels: sich bewusst für die Gemeinschaft zu engagieren. Der Kunde nimmt das zunehmend wahr.
Die Menschen der heutigen Zeit suchen nicht mehr den Anführer, der alles besser weiß und besser kann. Der Mensch sucht den Sinn und wird dadurch sein eigener Führer. Er will seine Biographie schreiben und deswegen sucht er nach einer Aufgabe, die seinem Leben Sinn gibt. Als Unternehmer muss ich es fertig bringen, dass der Mensch am Unternehmen so interessiert ist, dass er sich genau dort einbringen und dadurch ausdrücken will. Deswegen ergreift er die Initiative und verbindet sich mit dem Unternehmen, als Mitarbeiter, als Lieferant oder als zahlender Kunde. Das entsteht aber nur, wenn wir dem Menschen die Freiheit und das Recht und die Möglichkeit geben, sich selbst zu führen.
Je mehr Menschen im Unternehmen aus eigener Erkenntnis wissen, was zu tun ist, desto unternehmerischer wird das Unternehmen. Dann wird jeder zum Unternehmer. Dem Unternehmer muss man nicht sagen, was er zu machen hat, sonst wäre er kein Unternehmer, sondern Angestellter. Ein Unternehmer weiß aus eigener Erkenntnis, worauf es ankommt. Wenn es gelingt, ein Unternehmen zu schaffen, in dem möglichst viel unternehmerische Initiative entfaltet wird, weil sich darin jeder einbringen und ausdrücken kann, dann ist das Unternehmen eine gemeinschaftliche Aufgabe, der sich alle mit großem Engagement widmen werden.
In seinem Buch »Radikal führen« hat der Psychologe und Personalberater Reinhard K. Sprenger diesen Gedanken auf den Punkt gebracht. Genau wie ich ist er von Steiners »Philosophie der Freiheit« geprägt und stellt deswegen dieselben Fragen:
»Wäre es nicht anzustreben, dass die Menschen selbst wissen, was zu tun ist? Wäre es nicht wunderbar, wenn Ihre Mitarbeiter sich über das Schicksal des Unternehmens Gedanken machten und nicht allein über ihren eigenen Job oder die nächste Beförderung? Wenn sie Abläufe verbesserten auch jenseits der Stellenbeschreibung? […] Und wenn ja – was könnten Sie dafür tun? Dazu müssten Sie zunächst Ihr Menschenbild hinterfragen. Wie schauen Sie den Mitarbeiter an? Ist er ein Mittel zu Ihrem Zweck – oder ist er (auch) Selbstzweck? Sprechen Sie zwar vom ›Mit-Unternehmer‹, pflegen jedoch weiterhin innerlich das Bild vom ›Untergebenen‹? Ist er ein zu erziehendes Kind – oder ist er ein Erwachsener, dem Sie auch Erwachsensein zumuten müssen? Ist er ein Mensch, dem Sie zunächst einmal vertrauen – oder begegnen Sie ihm von vorneherein mit Misstrauen?«
Wenn wir das neue Denken wagen, dann ist Führung ein »agogischer« Vorgang – mit dem einzig legitimen Ziel, dass der Geführte sich selbst führt. Nur aus diesem Denkstrom ist Führung heute noch zu legitimieren, dann, wenn sie die Selbstführung zum Ziel hat.
Mit den Händen in den Hosentaschen
Wenn eine Führungskraft möchte, dass der Mitarbeiter dorthin gelangt, dann muss er ihn eben auch ein Stück alleinlassen, damit er sich selbst führen kann. Man muss als Vorgesetzter lernen, mit den Händen in den Hosentaschen dazustehen, auch wenn man von vorneherein weiß, dass die Sache mit großer Sicherheit schief geht. Aber wenn ich einem Mitarbeiter sage: Halt, das darfst du nicht machen!, dann sagt er später zu recht: Wenn ich es hätte machen können, wie ich wollte, wäre es besser geworden!
Niemand lässt sich gern sagen, wie etwas geht. Man will und muss seine Erfahrungen selbst machen. Als Führungskraft
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