Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)
muss ich deswegen zwischen Lernchance und Schadensrisiko abwägen: Was ist größer: der Lernfortschritt, den der Mitarbeiter macht, oder der Schaden, der möglicherweise für das Unternehmen entsteht?
Der Vorgesetzte muss deswegen erkennen, ob etwas reversibel ist oder nicht. Ist es reversibel, kann er den Mitarbeiter laufen und lernen lassen. Ist es irreversibel und gefährlich, muss er eingreifen. Aber Vorgesetzte, die meinen, permanent eingreifen zu müssen, zeigen eigentlich bloß, wie angstgetrieben ihr Denken ist. Die meisten Situationen sind reversibel. Es gibt fast in jeder Situation eine Lösung. Ich erinnere mich, dass ein Mitarbeiter bei dm einmal viel zu viel Parfüm eingekauft hat. Da herrschte eine große Aufregung. Aber als wir dann wieder zur Ruhe kamen und darüber nachdachten, war der Fehler kein großes Problem. Mit viel Ware kann man etwas machen, wenn man Ideen hat: Wir starteten einen großen Weihnachtsverkauf, und dann war die Sache bald wieder vergessen.
Wer keine Fehler zulässt, unterbindet jede Lernkultur, jede Innovation, jeden Fortschritt. Denn null Fehler heißt, nur das zu machen, was man schon kann. Eine Lernorganisation setzt aber voraus, dass möglichst viele Menschen durch ihre Arbeit lernen können. Lernen können heißt, Fehler machen dürfen.
Dass der Einzelne initiativ wird, ist Aufgabe der Führungskraft. Jeder einzelne Mitarbeiter muss die Gewissheit in sich tragen: Es kommt auf mich an. Ich bin nicht nur einer, der ausführt, was andere sich ausgedacht haben. Genau wie jeder andere muss auch ich sehen, dass ich für meinen Bereich immer wieder einen neuen, originellen Zugang finde. Das belebt die Sache. Dann wird das Unternehmen ein lebendiger Organismus. Aber wenn alle glauben, sie müssten immer das Gleiche machen, sie wären ein Rad im Getriebe, sie wären Maschinen – dann wäre das Unternehmen schal und langweilig und tot.
Das sind scheinbar nur kleine Nuancen, die aber einen großen Unterschied ausmachen. Man muss sich doch nur mal zwei identische Filialen nebeneinander vorstellen:
In der einen machen alle Mitarbeiter genau das, was vorgegeben wird. Das wird Tag für Tag eine immer dümmere Veranstaltung. Dümmer und dümmer. Die Menschen geben das Denken auf. Das Fühlen. Und irgendwann auch jedes Wollen. Stumpfsinn pur.
Und daneben steht die identische Filiale mit Mitarbeitern, die selbstbewusst sagen: Wir sind dazu da, dem Laden jeden Tag einen neuen Kick zu verleihen. Das lebt, das brodelt, das vibriert. Da passiert etwas. Die denken nach, die spüren und fühlen. Das sind Menschen, die den Laden und sich entwickeln wollen.
In welchem Laden wollten Sie lieber arbeiten? Welcher Laden wird der erfolgreichere sein?
Deswegen muss man sich als Führungskraft immer wieder fragen, wie man die Menschen anregen kann, wie man die Initiative wecken kann. Man muss einen Rahmen schaffen, der die Menschen anregt, der sie reizt, sich einzubringen, sich zu entwickeln. Das ist das Sozial-Künstlerische am Unternehmersein. »Hilfe zur Selbsthilfe« könnte man das auch plakativ nennen.
Motivation und Sabotage,
die Rache des kleinen Mannes
An dieser Stelle fällt gern das Schlagwort »Motivation«. Doch Vorsicht, da gerät man schnell auf den Holzweg. Wenn man nämlich meint, der Chef müsse die Mitarbeiter materiell motivieren, dann hat man schon die falsche Richtung eingeschlagen. Als der schon zitierte Reinhard K. Sprenger 1991 seinen Bestseller »Mythos Motivation« veröffentlichte, dachte ich, nun wäre alles gesagt. Sprenger entlarvte die gängigen Motivationspraktiken als wenig subtile, aber vor allem wenig erfolgreiche Manipulationsversuche. Unterm Strich erlebt der Mitarbeiter jede Art von »Karotte vor der Nase« nur als misstrauische Unterstellung: Ohne Zuckerchen, ohne Belohnung sei er nicht leistungsbereit. Doch wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Mitarbeiter, von denen man meint, sie mit Psychotricks manipulieren zu müssen, beginnen das Unternehmen auszutricksen. Statt im Sinne des Unternehmens denken sie fortan genauso, wie das Unternehmen es ihnen unterstellt: egoistisch.
Sprengers Buch wurde ein Bestseller und liegt inzwischen in der 19. Auflage vor. An Aktualität hat es leider nichts verloren. Immer noch glauben die Manager tausendfach, man könne und müsse Mitarbeiter motivieren.
Leistungsprämien, Stock Options, betriebliche Altersvorsorge – mit all diesen Motivations-Lassos fängt man Knechte, die nur nach oben schauen und
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