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Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)

Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)

Titel: Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Götz W. Werner
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später »Regionalisierung«.
    Was hatte die Deutsche Bank gemacht? Bislang hatten die Bankvorstände klar definierte Zuständigkeiten, klassische Zentralressorts. Einkauf, Vertrieb, Logistik, Finanzen, Personal. Fertig. Nun aber hatte jeder Vorstand zusätzlich eine Regionalzuständigkeit. Der eine betreute Europa, der andere Asien und den Nahen Osten. Der dritte war für Nordamerika zuständig. Und so weiter. Dafür wurde das Vertriebsressort aufgegeben. Und das war die Sensation. Denn nun musste jeder Vorstand zwei Brillen aufsetzen, eine fachspezifische und eine regionalspezifische. Die Regionalbrille zwang ihn, permanent zu hinterfragen, ob seine Fachbeiträge in der Praxis wirklich funktionieren. Während sich früher der Leiter Vertrieb und die anderen Vorstandskollegen permanent den Schwarzen Peter zuschoben, wenn irgendetwas nicht klappte, musste nun jeder Vorstand zumindest in der eigenen Region selbst verantworten, was er sich im Fachressort ausgedacht hatte.
    Auf den ersten Blick schien es anmaßend, die Deutsche Bank zum Vorbild zu machen. Sie war ungleich größer als dm und hatte ein Vielfaches an Niederlassungen rund um den Globus. Aber bei Licht betrachtet war auch die Deutsche Bank nichts als ein Filialunternehmen. Und wenn dieses Prinzip der Regionalisierung bei solch einem Riesen funktionierte, warum sollten wir das mit 350 Filialen nicht auch bewältigen?
    Es gab einen Haufen Gegenargumente. Am schwersten wog die Tatsache, dass niemand vor uns im klassischen Handel eine solche Organisationsform jemals auch nur ansatzweise ausprobiert hatte. Wir würden komplett neue Wege beschreiten. Dass wir dabei ausgerechnet den Bereich Vertrieb auflösen sollten, schien manchem wie glatter Selbstmord. Der Vertrieb gilt als Herzstück des Handels. Der war unverzichtbar.
    Trotz aller Bedenken gelang es, meine Mitgeschäftsführer davon zu überzeugen, dass man sich wenigstens testweise einmal gedanklich mit der Idee beschäftigen könne. Immerhin hatten wir doch schon oft allein durch gemeinsames Nachdenken originelle Lösungen gefunden, die zum Erfolg von dm beigetragen hatten. Also könne es doch auch dieses Mal nicht schaden.
    Fortan haben wir uns im Rahmen unserer üblichen Geschäftsleitungskonferenzen (GLK) im dreiwöchentlichen Rhythmus getroffen. Und dabei kam so ziemlich alles ins Rollen, was bis dahin festzementiert gewesen war.
    Ein Unternehmen – nicht Maschinen,
sondern Menschen
    Wie die meisten Menschen dachten auch wir unbewusst, dass ein Unternehmen funktionieren müsse wie ein Uhrwerk. Doch je länger wir darüber nachdachten, desto mehr begriffen wir den Irrtum. Ein Unternehmen ist kein Uhrwerk, sondern ein sozialer Organismus. Ein Unternehmen besteht nicht aus Schrauben und Maschinen, sondern aus Menschen. Was bedeutet das?
    Den Organismusbegriff kann man sich am eigenen Körper bewusst machen: Wenn keine Zellen abgebaut werden, können keine neuen Zellen entstehen. Wenn aber keine neuen Zellen entstehen, dann habe ich ein enormes Alterungsproblem, dann altert der Organismus. Also müssen immerzu alte Zellen abgebaut werden und neue hinzukommen.
    Organische Führung ist immer ein Wechselspiel zwischen Wachsen und Schrumpfen. Und genauso wenig wie ein Baum von oben nach unten wächst und gedeiht, tut es ein Unternehmen: Es wächst und wirkt von innen nach außen.
    Das Eigentliche entsteht immer an der Peripherie, nämlich dort, wo unsere Leistung mit der Leistung des Kunden in Berührung kommt. Dort, in der Filiale, ist der eigentliche Quellpunkt für alles, was wir tun.
    Das Unternehmen ist nicht länger eine Pyramide, sondern eine Prozessorganisation. Innerhalb der Prozesse muss man sich vor allem um die Schnittpunkte kümmern, also die Orte, wo der, der die Leistung generiert, und der, der die Leistung in Anspruch nimmt, aufeinander treffen. An diesen Punkten muss man genau analysieren, was geschieht: Warum nimmt jemand die Leistung in Anspruch? Das ist die Begründung allen Tuns. Das gibt dem Handeln einen Sinn. Und zugleich muss die Antwort die Frage beantworten: Wie können wir die Leistung so erbringen, dass der andere sie nicht nur heute in Anspruch nimmt, sondern auch in Zukunft, also dass es eine nachhaltige Leistungsgenerierung ist? Dieses Denken war eine Revolution für uns. Der Leitspruch hieß: »Oben ist selten vorn, aber vorn ist das eigentliche Geschehen.«
    Der Chef meint immer, dass die anderen ihm helfen. Dabei ist es umgekehrt, der Chef muss den Mitarbeitern helfen. So

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