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Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)

Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)

Titel: Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Götz W. Werner
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wird man zum anerkannten Führer, nicht wegen der meisten Sterne auf der Schulter.
    Statt einer festgezurrten hierarchischen Führerschaft, die auf Status basiert, entsteht eine »wandernde Führerschaft«, die auf Fähigkeiten beruht: Nur wer so viel Bewusstsein für die sozialen Prozesse ausgebildet hat, dass er die anderen für seine Ziele begeistern kann und dass es ihm gelingt, abweichende Initiativen auf seine Ziele hin zu koordinieren – der wird in der jeweiligen Situation zum Führer.
    Auch in diesem Punkt inspirierte uns Bernard Lievegoed, der den Begriff der wandernden Führerschaft anhand der Flugzeugbesatzung der Royal Air Force erklärte: Wenn die Besatzung am Boden in Alarmbereitschaft gerufen wird, dann ist in diesem Moment derjenige der Chef, der die meisten Sterne hat. Wenn die Besatzung kurze Zeit später im Flugzeug ist und sich fertigmacht für den Start, dann ist der Bordmechaniker der situative Chef, weil er alle Technik prüfen und freischalten muss. Wenn sich die Maschine nach dem Start auf Kurs befindet, dann ist der Navigator der Chef. Im Zielgebiet ist der Bombenschütze der Chef. Wenn das Flugzeug abgeschossen wird und sich die Soldaten mit ihren Fallschirmen irgendwo im Wald wiederfinden, dann ist der situative Chef vielleicht der Gefreite, der in seiner Jugend Pfadfinder war und am besten weiß, wie man sich in unwegsamem Gelände zurechtfindet. Führung übernimmt immer der, der für die gegebene Situation die besten Fähigkeiten hat und die Initiative ergreift.
    Überträgt man dieses Denken auf Unternehmen, wird schnell deutlich, dass die Menschen sich heutzutage schon längst nicht mehr vom Status leiten lassen, sondern ganz genau wissen, wo im Unternehmen die Personen sitzen, die zu ihrem Problem etwas zu sagen haben. Das nennt man dann im akademischen Kontext die »informelle Organisation«. Die formale Organisation steht im Organigramm. Die informelle Organisation wird gelebt.
    Leiter werden abgeschafft
    Wir begannen das neue Organisationsdenken in der Geschäftsführung. Bislang hatten alle Geschäftsführer – genau wie die Vorstände bei der Deutschen Bank – ihre jeweiligen Fachressorts zu verantworten, also Einkauf, Finanzen, Logistik und so weiter. Die Betreuung der Filialen lag in der Zuständigkeit des Vertriebs. So war und ist das bis heute in der gesamten Handelswelt gang und gäbe: Der zentrale Vertrieb trägt die Verantwortung dafür, dass die Filialen gescheit bewirtschaftet werden. Meist entscheidet auch der Vertrieb darüber, welche Filiale eröffnet und welche geschlossen wird. In den ersten 15 Jahren seiner Existenz hatte auch dm sich in diesem Punkt keinen Deut von den Wettbewerbern unterschieden.
    Das sollte sich nun ändern. Wir gaben die pyramidenförmige formale Organisation auf und erhoben stattdessen die Prinzipien der informellen Organisation zum Leitbild. Das Motto hieß: Filialen an die Macht!
    Im ersten Schritt lösten wir den Vertrieb auf. Der vielleicht heikelste Punkt war, dass die zwei Vertriebsleiter Nord und Süd ihre Jobs verloren. Aber wir mussten sie nicht entlassen, weil wir diese beiden Vertriebsexperten sehr gut als Bezirksleiter einsetzen konnten. Dass sie das nicht als Degradierung, sondern als reizvolle neue Herausforderung erlebten, lag daran, dass diese Veränderung nicht die einzige war.
    Denn im nächsten Schritt gaben wir den Bezirksleitern statt bisher fünf nunmehr 20 oder 25 Filialen in die Obhut. Die Zwischenstufe in der Hierarchie, die Gebietsleiter, schafften wir ganz ab. Das klingt nach brutalen Einschnitten, weil wir einfach eine Hierarchiestufe herausschnitten, die Zahl der Bezirksleiter reduzierten und die Aufgaben der Bezirksleiter aufs vier- oder fünffache Volumen vergrößerten.
    Parallel änderten wir die Bezeichnungen. Es gab keine »Leiter« mehr, sondern nur noch »Verantwortliche« – und nicht mehr für einen Bezirk, sondern gleich für ein ganzes Gebiet. Was vielleicht wie blöde Begriffsklauberei wirkt, brachte sprachlich zum Ausdruck, dass sich bei dieser Reorganisation nicht nur die Hierarchien, sondern vor allem die Arbeitsinhalte vollkommen veränderten. Und das war das Entscheidende.
    Von einem Leiter erwartet man, dass er alles im Griff hat. Er muss alles im Blick haben, alles wird an ihn herangetragen. Verantwortung tragen heißt, man ist für das Ganze verantwortlich, aber nicht für alles. Das war ein Umschwung im Denken. Den Begriff »Leiter« haben wir bei dm nur noch in der Filiale, also den

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