Wood, Barbara
fühlte.
Jallara hatte mit den anderen Mädchen geplaudert und gescherzt, und als sie
zwischendurch den Kopf zurückwarf und Neal die hellbraunen Strähnen in ihrem
schwarzen Haar sah, die darauf hindeuteten, dass in ihren Adern auch
europäisches Blut floss, hatte sich
Neal gefragt, wie wohl ihre Aborigine-Mutter oder ihr
Aborigine-Vater mit einem Weißen in Berührung gekommen sein mochte, ganz zu
schweigen davon, wie lange ein solches Zusammentreffen gewährt hatte, um ein
Kind zu zeugen.
Anfangs
war Jallara die englische Sprache zu schwer gefallen, um ihm ihre Geschichte zu
erzählen; im Laufe der nächsten Wochen aber, in denen sie viel Zeit
miteinander verbracht hatten, kehrte der Wortschatz, den sie sich als Kind
angeeignet haben musste, mehr und mehr zurück. Soweit Neal verstand, hatte
Jallaras Mutter in einen Clan im Südosten eingeheiratet, dessen Gebiet an das
ihres jetzigen Clans grenzte. Irgendwie schien es so gewesen zu sein, dass die
Mutter entweder ihre neue Familie verlassen hatte oder von weißen Männern
mitgenommen worden war; jedenfalls hatte sie zum Schluss als Köchin auf einer
entlegenen Rinderfarm gearbeitet. Nach Neals Schätzung dürfte Jallara etwa zehn
gewesen sein, als sie und ihre Mutter entweder fortgeschickt worden oder
weggelaufen waren. »Wir gehen, wir gehen, wir gehen. Folgen der Sonne. Wir
schlafen auf Echidna-Traumzeitpfad. Wir gehen. Folgen Regenbogen-Traumzeitpfad.
Wir töten Wallaby. Essen Wallaby. Wir gehen, wir gehen. Schlafen auf Opossum-Traumzeitpfad. Essen Wallaby. Wir gehen, wir gehen. Mutter krank. Wir machen Halt am
Kakadu-Billabong, Platz von Vier Bäume. Mutter sterben. Jiwarli finden mich,
bringen mich zu Mutters Clan.«
Dies war
der Grund, weshalb Jallara ihn derart beschäftigte. Wie er gehörten ihre Eltern
zwei unterschiedlichen Welten an. Das verband sie. Auch wenn es bei Jallara
unterschiedliche Hautfarben waren und bei ihm unterschiedliche
Gesellschaftsschichten. Wir sind uns ähnlich, sie und ich, sagte er sich.
Jallara
lächelte ihm entgegen. Sie hatte mitbekommen, mit welcher Freude und
Begeisterung er sich darin übte, den Bumerang zu schleudern und dann
abzuwarten, wie weit er flog. Und wie er es auskostete, wieder ganz bei Kräften
zu sein und die Fertigkeiten, die er sich bei ihrem Volk angeeignet hatte,
unter Beweis zu stellen. Noch immer trug er einen sittsamen Lendenschurz sowie
die Schuhe zum Schutz seiner empfindlichen Füße, aber sein Oberkörper war weiß
bemalt, zum Schutz gegen Insekten und böse Geister. Und an seinem Rücken hing
Jagdgerät. Mittlerweile war ihm ein Bart gewachsen und sein Haar um Etliches
länger geworden. Wie ein Jäger sah er aus.
Jallara
hatte ihm zu verstehen gegeben, dass sie seinetwegen über ihren Vater habe nachdenken
müssen, was in der Vergangenheit kaum einmal vorgekommen sei; erst er, dieser
weiße Mann in ihrer Mitte, habe die Erinnerung an ihn geweckt. Wer war er? Wie
hatte ihre Mutter diesen weißen Mann kennengelernt? Warum war sie nicht bei
ihrem Clan geblieben?
Und wie
verhielt es sich mit Thulan? Weshalb hatte er seinen Clan verlassen und sich
auf die Wanderung begeben, in ein Land weit weg von seinem Volk? Er hatte von
»erforschen« und »den Weg öffnen« gesprochen. Es bereitete ihr Mühe, dies zu
begreifen. Und nicht zuletzt fragte sie sich, welche Krankheit der Seele ihn
dazu getrieben hatte, sich die Fertigkeit anzueignen, mit Speer und Bumerang
umzugehen.
Sie hatte
ihm bei den ersten Unterweisungen zugeschaut und bemerkt, wie versessen Thulan
auf diese Ausbildung war. Wenn die anderen Jäger ihre Waffen längst abgelegt
hatten, übte er noch lange weiter. Genauso versessen war er darauf gewesen,
sich körperlich in Form zu bringen. Warum? Anfangs, wenn Thulan aus tiefem
Schlaf erwachte, war er fröhlich und heiter gewesen.
Dann war
eine Veränderung in ihm vorgegangen, er war ernst geworden und entschlossen.
Wie er sagte, war ihm etwas bewusst geworden. Es schien, wie Jallara
befürchtete, etwas Schlimmes zu sein, spürte sie doch, dass Thulans Geist krank
war.
Er weckte
ihre Neugier, und irgendwie fühlte sie sich zu ihm hingezogen. Aber sie wusste
ja, dass er nicht mehr lange bei ihnen bleiben würde und dass auf dem Jindalee ein Ehemann auf sie wartete. Dennoch machte sie
sich Sorgen um Thulan. Sie hätte gern dazu beigetragen, seine kranke Seele zu
heilen, die an Yowu-yaraa litt, was
Thulan »Zorn« nennen würde.
Sie hatte
bei ihm geschlafen, bis er sie weggeschickt hatte.
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