Wood, Barbara
Füßen sickern zu lassen. Nein, es sollte
keine seinem Fachbereich vorbehaltene Publikation sein, durchzuckte es Neal.
Vielmehr ein richtiges Buch! Über die außergewöhnlichen Erlebnisse eines weißen
Mannes bei einem »verlorenen« Stamm der Aborigines.
Er meinte
Hannah vor sich zu sehen, zwischen sich und dem roten Berg, als transparentes
Phantom mit wehendem Haar. Lächelnd streckte sie beide Hände nach ihm aus. Die
Wüste foppte ihn, spielte Schabernack mit ihm. Nein, überlegte er dann. Es gab
einen Grund dafür, dass ihm Hannah an diesem spirituellen Ort erschien, denn
plötzlich wurde ihm klar, dass er sich durch seine Bereitschaft für dieses
Vorhaben Hannahs als würdig
erweisen konnte. Er konnte sich als Wissenschaftler auszeichnen, wenn er die
geheime Initiation über sich ergehen ließ und dann darüber schrieb: Eine
Abhandlung über seine Zeit bei den Aborigines, als
Anthropologe, ein Bericht über einen Volksstamm, der noch nie mit Europäern in
Kontakt gekommen war. Eine Sensation würde das sein. Sein Leben mit Jallaras
Clan würde in der ganzen Welt Aufsehen erregen, man würde sich um sein Buch
reißen, nach der Beschreibung geheimer Initiationen dürsten. Er würde auf Vortragsreisen
gehen, berühmt werden.
Und dann
könnte er Hannah um ihre Hand bitten.
Als er sich
von dem Zauber des rotgoldenen Berges losriss und wieder in die Realität
zurückkehrte, sah er, dass Daku und Burnu in der Zwischenzeit zwei Ameisenigel
und einen Gecko erlegt hatten.
Er bekam
Gewissensbisse. In den fünf Monaten hatte er nicht nur neue Kraft gewonnen und
sich von seinen Gefährten den Umgang mit dem Bumerang und vielem anderen mehr
angeeignet, sondern auch bei der Suche nach Nahrung seinen Teil beigetragen.
Sein Vorhaben, die Männer mit Pfeil und Bogen vertraut zu machen, hatte er bald
wieder aufgegeben, da er gesehen hatte, wie ungemein geschickt Thumimburees
Männer ihre Speere und Bumerangs handhabten. Seine eigenen ersten Versuche mit
Speer, Woomera und Bumerang hatten Gelächter ausgelöst, aber sein
Überlebenswille und der Gedanke, zu Sir Reginald zurückzukehren und Vergeltung
zu üben, hatten ihn zu einem gelehrigen Schüler werden lassen.
Ehe er des
geheimnisumwobenen Berges ansichtig geworden war, hatte er beabsichtigt, sich
am kommenden Tag von der Gruppe zu trennen. Jallara und ihr Volk waren
unterwegs zu einem Stammestreffen aller Clans, einem sogenannten Jindalee, auf dem die vielen hundert Menschen, die sich dort
versammelten, Freundschaften erneuerten, Nachrichten und Geschichten austauschten,
Bündnisse bekräftigten, Stammesführer zu Gericht saßen und Strafen für
Übeltäter verhängten, auf dem Gesetze und Tabus bestätigt wurden, Babys Namen
erhielten und Schutzgeister zugesprochen bekamen, der Ahnen gedacht wurde und
junge Mädchen Ehemänner fanden. Der Jindalee war der
Grund, weshalb der Clan vom Billabong aufgebrochen war.
Inzwischen
stand für Neal fest, dass er sich morgen nicht verabschieden würde. Mit einem
Mal hatte er es eilig, ins Lager zurückzukommen und Thumimburee seinen Wunsch
vorzutragen, sich der geheimen Initiation zu unterziehen. Er folgte Burnu und
Daku, die sich auf kumpelhafte Art über ihn lustig machten, weil im Gegensatz
zu ihren mit Beute gefüllten Körben der von Neal leer war. Am Rande des Lagers,
das zwischen verstreuten Felsblöcken errichtet worden war, wo ein einzelner
Mulgabaum stand und ein artesischer Brunnen Wasser lieferte, ging Jallara zusammen
mit den anderen Frauen der nicht endenden Suche nach Wurzeln und Knollen,
Nüssen und Beeren, Insekten und Larven nach.
Hochgewachsen
und langgliedrig, der braune Oberkörper mit weißen Mustern bemalt, ihr
gewelltes langes Haar und ihr Bastrock vom Wind bewegt, schien Jallara ebenso
tabu zu sein wie der Berg. Exotisch, geheimnisvoll, unerforscht. Und
unberührbar. Sie würde auf dem Jindalee einen Ehemann finden, sich dessen Clan
anschließen und in das Territorium ihrer neuen Familie ziehen. Neal würde sie
niemals wiedersehen.
Vom ersten
Augenblick an, als sie gefragt hatte »Wie geht es Ihnen, Sir?«, war er von ihr
fasziniert gewesen. Woran das lag, konnte er sich zunächst nicht erklären. Es
war mehr als nur Neugier, mehr als die natürliche Reaktion eines Mannes auf
Jallaras geschmeidigen Körper, ihre verführerischen Brüste. Eines Nachmittags,
als er sie beobachtet hatte, wie sie im Schatten eines Mulgabaums einen Korb
flocht, war ihm klargeworden, weshalb er sich so zu ihr hingezogen
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