Wood, Barbara
möchte auch ich
unternehmen.
Je länger
er darüber nachdachte, desto deutlicher gewann sein Wunsch Gestalt. Wie es wohl
war, eine mystische Erfahrung zu machen, von einem Geistführer eine geheime
Botschaft zu empfangen? War es denkbar, dass einem Atheisten wie ihm, der
nichts glaubte, was er nicht sehen und anfassen konnte, Erfahrungen im Bereich
des Mystischen möglich gemacht wurden?
Er hatte
Jallara gebeten, seine Bitte Thumimburee vorzutragen, und der hatte zu Neals
Überraschung bereitwillig zugestimmt. Da es dem Stammesführer zufolge Thulan
gewesen war, der sie zu dem sterbenden Mann geführt habe, sei es Thulan, der
weiterhin über den Fremden wache, weshalb ihm gestattet sei, sich den
spirituellen Riten von Blut und Schmerz zu unterziehen.
Dennoch
fiel Neal die endgültige Entscheidung nicht leicht. Noch immer brannte er
darauf, Sir Reginald ausfindig zu machen, um der Gerechtigkeit Genüge zu tun
und Vergeltung zu üben. Diese Gedanken ließen ihn nicht los. Vor fünf Monaten,
beim Aufbruch von Thumimburees Clan Richtung Norden, war Neal alles andere als
begeistert gewesen und umso erleichterter, dass die Gruppe bereits nach kurzer
Zeit eine westliche Richtung eingeschlagen und bislang beibehalten hatte. Da
sie in etwa parallel zur geplanten Expeditionsroute zog, brauchte Neal, wenn er
wie geplant demnächst den Clan verließ, seine Schritte nur südwärts zu lenken;
irgendwann würde er dann auf Sir Reginald stoßen.
Körperlich
war er inzwischen in bester Form und bereit zum Aufbruch. Thumimburee hatte
Neal angeboten, ihm drei Männer mitzugeben, die ihn über das flache Land begleiten
sollten, bis zu einer Stelle, wo es Wasser gab, entsprechende Vegetation sowie
Wild und von wo aus er dann allein weiterziehen konnte. Neal konnte es kaum
erwarten. Je eher er diese Gegend hinter sich ließ, desto eher würde er Sir
Reginald zur Rede stellen können und Rechenschaft für dessen Verhalten fordern.
Außerdem: Je eher er Perth erreichte,
desto eher würde er wieder mit Hannah zusammen sein. Wenn er sich allerdings
auf das Initiationsritual einließ, würde sich alles Weitere um Tage verzögern,
und dann wäre nicht auszuschließen, dass er Sir Reginald ein für alle Mal
verfehlte. Wenn der Expeditionsleiter Perth erreichte,
dann wäre es für ihn ein Leichtes, mit dem nächstbesten Schiff nach England zu
entkommen. Und Neal würde niemals den Mann zu fassen bekommen, der ihn in der
Wüste zurückgelassen und seinen Tod billigend in Kauf genommen hatte.
Er starrte
hinüber zu dem rotgoldenen Berg, fühlte sich hoffnungslos zerrissen: zum einen
dürstete es ihn nach Rache, zum anderen war er erfüllt von Sehnsucht nach
seiner Liebsten, zum dritten meldete sich der Wissenschaftler in ihm, der
spürte, dass sich ihm hier die Gelegenheit bot, eine Erfahrung zu machen, die
mit Sicherheit so außergewöhnlich wie einmalig war.
Was für
ein Stoff für eine Publikation! Der erste Weiße, der an den geheimen Riten
eines primitiven Volkes im Herzen völlig unerforschter Gebiete teilgenommen
hatte! Welcher Forscher, der mit Fug und Recht auf einen Universitätsabschluss
verweisen konnte, vermochte das zu übertrumpfen? Ich bin hergekommen, um
Geheimnisse zu ergründen. Die Welt der Geister und das Metaphysische ist das
Größte von allen.
Allerdings
gingen mit dem Experiment Risiken einher. Jallara hatte Neal zu verstehen
gegeben, dass junge Männer, die sich auf diese Wanderung zur Selbstfindung
aufmachten, gelegentlich nicht zurückkehrten. Und dass hin und wieder das
schmerzhafte Ritual des Tätowierens - die erste Phase der Initiation - zum Tode
führte, weil sich böse Geister in den Wunden einnisteten. Schließlich und
endlich, wenngleich selten, konnte es geschehen, dass die geheime Botschaft,
die die Geister dem Anwärter zukommen ließen, so gewaltig war - »größer als
sein Kopf«, hatte Jallara gesagt -, dass er auf der Stelle tot umfiel.
Während
die anderen in der unverändert eintönigen Landschaft weiterhin Jagd auf Beute
machten, ihre scharfen Augen nach verräterischen Spuren, Kot und Erdlöchern
Ausschau hielten oder sie mit Glück einen Vogel im Flug erlegten, verharrte
Neals Blick wie gebannt auf dem tabubelegten Berg. Wieder überkam ihn das
eigenartige Gefühl, als spreche der Felsen zu ihm, als wollte er ihn
auffordern, sich den uralten Riten von Blut und Schmerzen zu unterziehen und
gleich zahllosen Generationen von Männern vor ihm sein Blut in den
unergründlichen Sand unter seinen
Weitere Kostenlose Bücher