Wood, Barbara
heiligen
Zeremonie beschäftigt, den Auserwählten für seinen Weg vorzubereiten. Während
die Frauen seinen Körper bemalten und ihm Federn in Haar und Bart steckten,
hängte Jallara Neal eine Kette aus Tierzähnen um, die ihm wie der kleine
Lederbeutel mit dem smaragdgrünen Tränenfläschchen bis auf die frisch
tätowierte Brust reichte.
»Nicht Thulan essen. Er dein Traumzeitgeist. Nicht ihn töten, nicht ihn
essen.« Neal hatte gelernt, dass Thulan die
Bezeichnung für eine Eidechsenart war, die die britischen Kolonialisten Stachliger
Teufel nannten und unter Wissenschaftlern als Moloch horridus bekannt war. Zehn Zoll lang, mit
abgeflachtem Körper und Stachelhaut, besaß der Thulan die Eigenschaft, sich in Farbe und Hautmusterung seiner
jeweiligen Umgebung anzupassen. Neal hatte solche Eidechsen schon häufig
gesehen und sie als hässlich und schön zugleich befunden. Die Mahlzeiten des
Clans bestanden häufig genug aus Thulan, aber
niemals hatte man Neal auch nur ein Stück davon angeboten.
»Thulan
hat nichts von mir zu befürchten«, sagte er lächelnd. Zum ersten Mal erwiderte
Jallara sein Lächeln nicht. Warum war sie so ernst? Selbst ihre Freundin, die
ewig kichernde Kiah, wirkte seltsam bedrückt. Ob dies etwas mit dem dritten
Ritual zu tun hatte, dem im Anschluss an die
Wanderung, über das man nicht sprechen durfte?
»Wann bin
ich wieder bei euch?«, fragte er, zum Aufbruch bereit, und blickte in die
Gesichter um ihn herum - in schwarzhäutige mit dicken Brauen und tiefliegenden
Augen, in Gesichter, die er als die von Allunga, Burnu und Daku, Jiwarli und
Yukulta ausmachte, die er inzwischen als Freunde erachtete.
»Wenn Zeit
richtig ist«, sagte Jallara.
Neal
runzelte die Stirn. »Wie meinst du das? Wann wird das sein?«
»Nur
Thulan wissen.«
»Heißt
das, es liegt an mir zu entscheiden, wann?«
»An den
Geistern, Thulan. Du haben Vision, du kommen zurück.«
Bedeutete
das, dass er nicht eher zurückkehren konnte, als bis er eine Vision gehabt
hatte? Neal war von einer vorher vereinbarten Zeitspanne ausgegangen, von
sieben Tagen etwa oder auch bis zum nächsten Vollmond. Oder wenn der, der sich
der Initiation unterzog, meinte, er habe lange genug durchgehalten. Die
Bedingung der Vision kam völlig unerwartet. Wenn nun aber eine Vision ausblieb?
Er
überlegte, ob er sich nicht vielleicht doch auf etwas eingelassen hatte, was
er nicht bewältigen konnte. Als er die kunstvollen Tätowierungen der Männer
gesehen und Geschichten von Wanderungen zur Selbstfindung vernommen hatte, war
ihm das alles so mannhaft und abenteuerlich vorgekommen und als genau das, was
Weiße in ihren Salons gern lasen. Dass unerträgliche Schmerzen erduldet und
Opfer gebracht werden mussten, hatte er nicht bedacht. Und schon gar nicht, dass
er unter Umständen sein Leben riskierte. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr.
Das wäre feige. Und worüber sollte er dann in seinem Buch schreiben, was
Hannah berichten? Kurz spielte er mit dem Gedanken, sich einfach eine Vision
auszudenken. Aber Betrug kam nicht in Frage. Dies hier war eine geheiligte
Zeremonie. Selbst wenn seine Religion eine andere war, hatte er zu
respektieren, woran diese Leute glaubten.
Er schaute
über die ockerfarbene Ebene und versuchte abzuschätzen, was ihm bevorstand. Er
hatte ausreichend Warane und Geckos erlegt, sogar ein großes rotes Känguru war
ihm zum Opfer gefallen (auch wenn Daku und Burnu dem Tier den Todesstoß hatten
verpassen müssen). Er wusste, wie man Ameisenigel und Nager in ihren Höhlen
aufspürte, wie man ein Feuer entfachte und Wasser fand. Da wohl kaum
Botschaften aus der Welt der Geister für Neal Scott aus Boston, Massachusetts,
zu erwarten waren - auch wenn er eine solche Erfahrung liebend gern machen
würde -, würde er wohl selbst bestimmen müssen, wann er zum Clan zurückkehrte.
Fünf Tage dürften wohl angemessen sein. Und zu schwindeln brauchte er auch
nicht: Weil es tabu war, über seine geheime Geisterbotschaft zu sprechen, würde
man ihn nicht nach Einzelheiten fragen, sondern einfach annehmen, dass er sich
in der anderen Welt aufgehalten hatte.
Jetzt
erklärte die Gruppe ihn für spirituell bereit und stattete ihn mit einen Speer
und einer Decke aus, und damit war die Vorbereitung beendet. Thumimburee sagte,
wenn er nach einem Mondzyklus nicht zurück sei, werde man nach ihm suchen und
ihn begraben, da eine so lange Abwesenheit nur bedeuten könnte, dass er tot
sei.
Neal sah
noch, wie sie ihre Unterstände abrissen
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