Wood, Barbara
du sein willst«, hatte Hannah gesagt. Aber was hieß
das?
Ein Plakat
weckte ihre Aufmerksamkeit. Es war groß und bunt und dekorativ umrandet. Große
Buchstaben verkündeten: »Demnächst auch in Adelaide - eines der aus London
bekannten neuen Varieté-Theater!«
Alice las
sich den Text abermals durch. Da sich ihre Schulbildung nur auf das Nötigste
beschränkte und sie noch nie etwas von einem Varieté gehört hatte, wollte sie
sichergehen, alles richtig zu verstehen. Es gelang ihr, ein paar Worte zu
entziffern - Zauberkunststücke, Klavierspieler, Musikanten, Akrobaten,
Jongleure, Artisten auf dem Trapez. Besonders eins sprang ihr ins Auge: Solosänger. »Voraussetzung: gute Stimme, gefälliges Äußeres.
Weibliche Bewerber bevorzugt.«
Sie
stolperte über das Wort VORAUSWAHL, das in
großen Lettern oben auf dem Plakat stand. Was damit gemeint war, verstand sie
nicht, aber aus dem übrigen Text schloss sie, dass es den Veranstaltern um
eine Art Wettbewerb für einzelne Darbietungen auf der Bühne ging. »Honorar je
nach Talent und Publikumsakzeptanz. Weitere Auskunft erteilt Sam
Glass, Impresario.«
Alice
schlug das Herz bis zum Halse. War dies ihre große Chance? Bei der Vorstellung,
von einem Publikum angestarrt zu werden, das von ihrem Anblick derart geschockt
war, dass es kein Ohr für ihre Stimme hatte, fuhr ihre Hand schützend hoch zu
ihrer narbigen Wange, nestelten ihre Finger am Rand ihrer weißen
Dienstbotenhaube herum. Man hatte ihr zwar gesagt, dass, sobald sie zu singen
anhob, keiner mehr auf ihr entstelltes Gesicht achten würde, aber war das
ehrlich gemeint gewesen?
Mit noch
immer heftig klopfendem Herzen und zunehmend aufgeregt notierte sich Alice das
Datum, an dem die Vorauswahl stattfinden sollte: 10. Oktober. In sechs Wochen.
Ob sie es bis dahin schaffte, ihr Gesicht zu verschönern?
Hannah
meinte ihren Augen nicht zu trauen, als sie die umfangreiche Palette
kommerziell hergestellter Medizinen vor sich sah. Wie die meisten anderen ging
sie in eine Apotheke, wenn sie etwas gegen Kopfschmerzen, Hautausschlag oder
eine Magenverstimmung benötigte. Dazu musste man jedoch ein ärztliches Rezept
vorweisen, und in der Apotheke hieß es dann zu warten, bis die Salbe oder der
Sirup oder der Heiltrank gemischt waren, was, wenn der Apotheker gerade
anderweitig beschäftigt war, dauern konnte. Diese Medizinen hier schienen dagegen bereits fix und fertig zu
sein und zum Verkauf bereitzustehen.
Über einer
Reihe von Flaschen wies ein Schild darauf hin, dass sie »Absolut sicher und
verträglich bei Entbindungen, ohne jegliche Gefahr für Mutter oder Baby!«
wären. Als Hannah das Etikett der in Flaschen abgefüllten roten Flüssigkeit
entzifferte - »Dr. Vickers' antiseptische Tinktur« -, wurden ihre Augen kugelrund.
War da jemand ihrem Vater zuvorgekommen und hatte eine Formel gefunden? Das
Etikett besagte nichts weiter als »Der Gebrauch dieser speziellen Mischung
garantiert die sichere und gesunde Entbindung und beugt allen Gefahren und
Krankheiten im Zusammenhang mit einem solch freudigen Ereignis vor.«
Sie griff
nach einer der Flaschen und hielt sie gegen das Licht. Was beinhalteten sie?
Sie entkorkte die Flasche, schnupperte daran. Roch nichts. Sie zog ihren
Handschuh aus und tauchte den Finger in die Flüssigkeit, prüfte sie auf ihrer
Zunge. Kein Geschmack.
Sie
runzelte die Stirn. Das hier war nichts weiter als gefärbtes Wasser. Wie konnte
man dann auf dem Etikett und diesem riesigen Schild derart großspurige
Behauptungen aufstellen?
Nachdem
sie die Flasche wieder verschlossen und zurückgestellt hatte, warf sie einen
prüfenden Blick auf die weiteren medizinischen Angebote auf der Theke:
Schachteln, Päckchen, Dosen und Flaschen mit allen möglichen Arzneien -
Tinkturen, Wundermittelchen, Heiltränken - in flüssiger Form, als Puder,
Sirups oder Cremes. Die Spitze einer Pyramide zierte ein handgeschriebener
Zettel mit dem Hinweis »Zuverlässiger als ein Aderlass! Kein lästiges Abführen
nötig! Sparen Sie sich die Arztkosten! Billiger als in der Apotheke!«
Das Etikett
mit der Aufschrift Dr. Brogans
Allheilmittel versprach Abhilfe für alles, von Pickeln bis zur
Gicht, und konnte darüber hinaus als Haarwuchsmittel verwendet werden, zur
Beruhigung des Magens und bei Unregelmäßigkeiten der Menstruation. »Eine garantiert
großzügige Dosis Kokain pro Teelöffel!«
Hannah
fiel auf, dass auf einigen Etiketten die Bestandteile nicht angegeben waren,
auf anderen stolz auf
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