Wood, Barbara
Praxis nicht
gerade zukunftsträchtig.
Noch etwas
anderes hatte Hannah vor: Sie wollte aus dem Hotel ausziehen, in dem ihr zu
viel Betrieb herrschte und in dem sie sich ständig auf dem Sprung fühlte.
Entwurzelt. Ihr Traum von einem eigenen kleinen Häuschen wurde immer
drängender, und wenn Kirkland's Auswahl an kommerziell hergestellten Medizinen
und Gesundheitsfibeln für den Hausgebrauch wirklich so beeindruckend war, wie
man sich erzählte, könnte dies der Anfang sein, den sie brauchte.
»Geschafft!«,
sagte sie atemlos, als sie vor dem Kaufhaus anlangten. Sie klappten ihre
Schirme zusammen und mischten sich unter die anderen Besucher, deren Neugier
größer war als ihre Abneigung gegen Regen.
»Du meine
Güte!«, entfuhr es Alice fassungslos angesichts der riesigen Ausmaße des
Kaufhauses, der vielen unterteilten Gänge, der endlosen Theken und Regale
entlang der Wände. »Da kann man sich ja glatt verlaufen, Miss!«
»Es ist
wohl besser, wenn wir uns trennen, Alice. Du siehst dich nach Kosmetika um und
ich mache mich auf die Suche nach der Tafel mit den Aushängen.« Das Kirkland's
rühmte sich einer ebenso großen Anschlagtafel wie der im Postamt, um Kunden die
Möglichkeit für kostenlose Inserate und Mitteilungen zu geben. Hannah hatte
vor, die Stellenangebote durchzugehen und auch hier ihre Visitenkarte zu
hinterlassen. Jetzt, da Lulu Forchette keine Bedrohung mehr darstellte, tat sie
ihr Menschenmöglichstes, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Nachdem
die Nachricht bekannt geworden war, dass Lulu Forchette unter absonderlichen
Umständen ums Leben gekommen war - man hatte sie völlig verkohlt in ihrer Küche
gefunden -, grassierten die wildesten Gerüchte über die Art des Hauses, das
Miss Forchette geführt hatte. Kolonialbeamte vom Vizegouverneur bis zum
Postvorsteher hatten Entsetzen und Empörung geäußert, dass in einem derartigen
Etablissement in unmittelbarer Nähe der gesitteten Stadt Adelaide
gesetzeswidrigen Handlungen gefrönt worden war, und folglich Lulus Tod als
Gottesurteil gewertet.
Was aus
den Mädchen geworden war, entzog sich Hannahs Kenntnis. Ready Rita und Easy Sal hatten sie
irgendwann im Juni im Hotel aufgesucht, nicht etwa um sie um Hilfe zu bitten,
sondern um ihr für ihr freundliches Entgegenkommen in der Vergangenheit zu
danken. Sie wollten nach Sydney, hatten sie gesagt, wo sie hofften, bessere
Arbeitsbedingungen vorzufinden. Ihrem Bericht zufolge hatte keines der Mädchen
bei der Rückkehr vom Pferderennen eine Träne beim Anblick der grausigen
Entdeckung vergossen. Nur Miss Magenta sei bei
der Beisetzung ihrer Mutter ohnmächtig geworden und kurz darauf an einer
Überdosis Belladonna gestorben. Lulus andere Tochter habe wegen Steuerschulden
das Haus veräußern müssen, die Mädchen hätten samt und sonders ihre Sachen
gepackt und sich in alle Winde zerstreut. Beim Abschied hatte Hannah den beiden
alles Gute gewünscht und gesagt, sie würden ihr fehlen. Und es auch so gemeint.
Dr.
Davenport war ebenfalls nicht mehr da.
Als sich
damals im Mai die Briefe des tief betroffenen Bürgers als falsche und
verleumderische Behauptung entpuppt hatten und sie von Mrs.
Throckmorton an die Luft gesetzt worden war, hatte Hannah Dr. Davenport
geschrieben, dass er nichts mehr zu befürchten habe. In seiner Antwort teilte
Dr. Davenport ihr mit, dass er beabsichtige, seine Praxis zu schließen und nach
England zurückzugehen, um dort eine verwitwete Kusine mit fünf Kindern zu
heiraten. Er wünschte Hannah viel Glück und betonte, dass er die drei Monate
Zusammenarbeit mit ihr stets in guter Erinnerung behalten werde. Seine kleine
Statue der Hygieia zierte weiterhin Hannahs Nachttisch.
Dort
stand, in einem Zinnrahmen, auch die Fotografie von Neal. Sie hatte noch immer
nichts von der Borealis gehört
oder vom Schicksal der Merriwethers in ihrer Eingeborenenmission, obwohl sie
mehrmals schriftlich nachgefragt hatte. Da sie sich vor allem um Neal Sorgen
machte, überlegte sie bereits, ob sie nicht nach Perth fahren und auf eigene
Faust nach seinem Verbleib forschen sollte.
Im
Augenblick jedoch war dem Broterwerb oberste Priorität einzuräumen. Auf ihrer
Suche nach dem öffentlichen Anzeigenbrett verschlug es ihr fast den Atem. Noch
nie war sie in einem derart weitläufigen Geschäft gewesen, und schier
unglaublich war es, wie viele unterschiedliche Waren sich hier dicht an dicht
in Regalen drängten, auf Verkaufstheken ausgebreitet waren oder von den Wänden
herabhingen.
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